Defregger in Berlin
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stand, die die Ereignisse von 1870 nnd 1871 in den Angehörigen aller deutscheil Stämme hervorgerufen hatten.
Defregger hat seitdem noch viele Bilder aus der Geschichte des Tiroler Freiheitskampfes gemalt, die in düstrer Tragik oder in hoffnungsvoller Freudigkeit die seltsamen Wechselfälle des „Trauerspiels in Tirol" schildern. Er hat dabei seine künstlerische Kraft so stark angespannt, daß er z. B. den Höhe- Punkt dieses Trauerspiels, den Todesgang Andreas Hvfers, in lebensgroßen Figuren dargestellt hat. Keins von diesen Bildern erreicht aber die drei Erstlinge von 1869, 1874 und 1876 an Gefühlswärme, an innerer Anteilnahme und Anschaulichkeit. Man empfindet, daß er diese drei Bilder aus innern: Dränge geschaffen hatte, und daß alle andern ihre Entstehung erst der reiflichen Überlegung verdanken, nachdem Defregger einmal beschlossen hatte, alle Hauptmomente des tirolischcn Befreiungskampfes zu schildern.
Der Gedanke daran war ihm schon gekommen, als er noch seine Lehrzeit in Innsbruck und München durchmachte. Wer etwas von den Wirrsalen einer ringenden Küustlersecle kennen gelernt hat, der weiß auch, daß sie immer zwischen Gegensätzen hin- und herschwankt. Wenn sie endlich zur Ruhe gekommen ist, ist das Ergebnis die künstlerische Gestaltung der Gegensätze. Zu diesen? Ergebnis ist auch Defregger, wahrscheinlich unbewußt, gekommen, und damit hat er zugleich sein Höchstes erreicht. Was er nachher geschaffen hat, ist mehr treuherzige Geschichtserzählung, in der künstlerisch eil Gestaltung und Ausführung immer sorgsam und wohldurchdacht, bisweilen sogar, wie in dem Todesgange Hofers und in dem ergreifenden Bilde der Dresdner Galerie „Vor dem Tiroler Aufstaud (1809)," groß gedacht. Aber man merkt es diesen Bildern doch an, daß sich der Künstler einer moralischen Verpflichtung, die er einmal übernommen hatte, zwar mit großer Gewissenhaftigkeit, aber doch mit innerm Zwang entledigt hat.
Daß das Mnseum Ferdinandeum in Innsbruck sich den Besitz des Speck- bachcrbildes, des Hauptwerks aus der ersten Entwicklnngsperiode des Künstlers, gesichert hat, war ein glücklicher Griff, der nur leider nicht wiederholt worden ist, vielleicht, weil man in Tirol nicht viel Geld für Kunstzwecke übrig hat. Dein patriotischen Interesse der Tiroler hat freilich die Museumsverwaltung insofern genügt, als sie von allen Bildern Defreggers, die zu dem den Befreiungskampf von 1809 schildernden Cyklns gehören, mit Bewilligung des Künstlers Kopien anfertigen ließ. Sonst haben die Tiroler an ihrem berühmten Landsmann viel mehr Geld verdient, als sie ihn haben verdienen lassen. Ganz abgesehen von den indirekten Vorteilen, die sie durch seine volkstümliche Kunst gehabt haben, nnd die sich durch Zahlen nicht belegen lassen, haben sie viele Jahre lang einen schwungvollen Handel mit farbigen Nachbildungen Defreggerschcr Gemälde auf Papier, Leinwand, Holz, Porzellan und andern: Material ohne Genehmigung des Künstlers getrieben, bis der Unfug so arg wurde, daß die Hilfe der Gerichte angerufen werden mußte — wir wissen nicht, ob es auf Veranlassung des Künstlers oder der Verleger der Grenzboten IV 1900 Sg