Reformgedankeii und Reformanscitzo in, heutigen Italien
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dieser Interessengemeinschaften greifen weit und tief; sie reichen durch eine konzentrische Reihe hierarchisch abgestufter Klientelschaften bis zum Lebensmark des Stamms uud kommen in allen wesentlichen Organen der Regierung und der Verwaltung zum Ausdruck, Das Parlament ist davon das Anzeichen (I'inäioe), die gestaltlose, atomistische, käufliche Wählerschaft die Unterlage (lo strams). Entweder finden wir die Kraft zu einer rücksichtslosen Bekämpfung dieser Anschlüge, oder die konservative Sache ist verloren." Über die Übelstände der Rechtspflege äußerte sich ein neapolitanischer Jurist im Nn-ttino dahin, daß das Personal ungenügend und darnm bei der Prozeßlust namentlich der Süditaliencr mit Arbeit überlastet, die Besoldung trotzdem nicht ausreichend sei, obwohl an der Pflichttreue der Nichter ganz ungcrechterweise oft gezweifelt werde.
Ju der Steuerreformfrage richtet sich die schärfste Opposition gegen die städtische Verbrauchsabgabe (ä^io eonsuwo) vor allem auf Brot, Mehlwaren, Fleisch, Fische, Wein, Brenn- und Bauholz und dergleichen, von der die Regierung ein Panschquantum bezieht. An den Thoren der deshalb meist erhaltnen Stadtmauern harren die uniformierten Zollwächter, nnd wo die Mauern nicht mehr stehn, werden andre kostspielige Absperrungsmaßrcgeln ergriffen. So zieht sich um die ganze Nordseite von Florenz, wo die Mauern der mächtig wachsenden Stadt haben weichen müssen, längs der aussichtreichcn Via di Mignone eine tiefe Flutrinnc wie eiu breiter Wallgraben, mit Geländer auf der innern, hvhem Eisengitter und Schilderhäuschen auf der äußern Seite hin, und auf einer langen Strecke führt eine einzige Brücke zwischen zwei Zollhäusern hinüber. Hier müssen die beladnen Wagen, die in die Stadt wollen, am Morgen oft drei bis vier Stunden bei jedem Wetter warten, ehe sie zur Untersuchung kommen und einfahren dürfen, sie müssen also bald nach Mitternacht zu Hause aufbrechen. Der einkommende Betrag stellt den größten Teil der städtischen Einnahmen dar, sodaß der Zuschlag zur staatlichen Grundsteuer in manchen großen Städten nur 3 bis 10 Prozent von dem betrügt, was der v^io vonsuino einbringt. Deshalb wollte das Ministerium Pelloux die Abgabe auf Mehl und dergleichen ganz abschaffen, und auch sein Gegner Giolitti sprach sich in demselben Sinne aus, indem er vorschlug, daß der Staat seineu Anteil auf die Hülste herabsetze, damit der vaüio eonsumo auf die wichtigstem Lebensbedürfnisse ganz wegfallen und die besser verwalteten Kommunen ihn völlig aufheben könnten. In den Gcmeinderüten wird uun oft genug anerkannt, daß dies sehr wünschenswert sei, und in Rimini z. B. hat die republikanische Minderheit des vousiMo ooirulirmalö es geradezu gefordert; aber die Stadt- derwaltungen scheuen meist davor zurück, weil sie ihr Budget in Verwirrung zu bringen fürchten und es nicht wagen, die stürkern Schultern auch starker zu belasten uud durch etwaige Einschränkung der öffentlichen Arbeiten die Gelegenheit zum Verdienst für die untern Bevölkerungsschichten zu verringern, indessen hat Florenz wenigstens die Auflage auf Mehlwaren (tarine) schon abgeschafft. Ebenso ungerecht und also reformbedürftig findet Giolitti die