Maßgebliches und Unmaßgebliches
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sibirischen Grenze. Diese Wirksamkeit werden erst die künftigen Generationen wahrnehmen und nach ihrem vollen Umfange schätzen lernen." Hier sind die Ereignisse den Worten des Fürsten Uchtomskij vorausgeeilt, wenn der Dalai-Lama trotz seiner Abhängigkeit von China mit Rußland offiziell in Verbindung tritt. Aus Grünwedels Buch habe ich aber noch mehr und schon sehr alte Beziehungen von Rußland und Tibet herausgelesen. Da ist die buddhistische Göttin Tarn, das weibliche Gegenstück des Buddhabegriffs, die Cakti pu.r kXLgllvnM, die Erlöseriu. Von der Zeit her, als Katharina nnd Elisabeth ans dem russischen Throne saßen, ist in den russischen Selbstherrschern die Göttin Tärä inkarniert. Daß die russische Regierung dieses buddhistisch-tibetische Dogma protegiert, ist klar. Angenehmer, als daß auch Zar Nikolaus ein wieder fleischgewordner mongolischer Gottesbegriff ist, kann dem heiligen Synod nichts sein.
Die Erbfolge der lamaistischen Hierarchen wird gewöhnlich als die khubil- gauische bezeichnet. Khnbilgan ist die körperliche Manifestation eines Bodhisatva, einer, dessen Wesenheit (^tv-c) die Erkenntnis (Loäbi) ist, das heißt das Wesen, das durch eine besondre Heilsthat mit dem ausgesprochnen Wunsche, Buddha zu werden, seiue Qualifikatiou dazu erlangt hat. Für den Khnbilgan geht die Wiedergeburt, ähnlich der des Dalai Lama, auf folgende Weise vor sich: sobald ein Großlama stirbt, geht die Seele des Bodhisatva auf eiu unbekanntes Kind über, das nennundvicrzig Tage, nachdem der Geist die Hülle des Verstorbnen verlassen hat, oder länger danach geboren sein mnß. Orakel bestimmen den Ort, wo das Kind gefunden werden soll nsw. Es tritt später in ein Kloster ein; Studium und Askese sind sein Los. Alt werden die Dalai Lamas meist auch nicht; die chinesische Regierung läßt sie gern aus dem Wege räumeu. So viele Bodhisatvas es giebt, so viele Khubilgans giebt es anch. Ein solcher in höchster Verehrung stehender tibetischer Heiliger hat aber schon vor einigen Jahren Rußland, d. h. Transbaikalien besucht: der tibetische Khubilgau aus sKu-'bum, ein junger, hübscher, intelligenter Kerl, wie er bei Grüuwedel Seite 78 abgebildet ist.
Der weiße Zar, die Jnkaruativu der Tara, uud der Dalai Lama, die Inkarnation des großen Bodhisatvas, kommen schon zusammen; und dies Bündnis ist ein ganz natürliches. Nußlaud ist sehr rücksichtsvoll gegeu seinen heidnischen Bruder und laßt ihn nach seiner FacM so selig werden, als er will. Aber die andern europäische» Völker lernen nicht von diesem klnge», beharrlich auf seine Ziele hinarbeitenden Staate, der die Lente in Glaubenssachen erst hängt, Wenn er sie hat, uud auch beim „Haben" unterscheidet, ob physische nnd moralische Macht dazu vorhanden sind. Rußland hat längst eiugeseheu, daß gegenüber Muhammedaueru und Buddhisten die christliche Moral nicht wirken kann. Die Anhänger des Konfutse gehören auch dazu. Drum läßt es auch seine Haud von der christlichen Mission in China.
Bestätigt wird das durch eine Notiz der Frankfurter Zeitung vom 16. Oktober. Eiu Petersburger Korrespondent schreibt ihr, daß es in China nnr vier griechisch-orthodoxe Kirchen gebe, zwei in Peking, je eine in Urga und in Hankau. So sage ein kirchliches Organ in Jrkntsk. Eine fünfte Kirche in Dun-Din-On wurde von deu Aufrührern ciugeäschert. Hieriu liegt der Beweis dafür, wie vorsichtig die Russen es vermeiden, den heidnischen Völkern mit ihrem Glauben zu imponiere».
Ein Verteidiger Haeckels. Der Verlag von Emil Strauß in Bonn schickt mir die Broschüre zu: „Der Kampf um die »Welträtsel«. Ernst Haeckel, die »Welträtsel« uud die Kritik. Vou Heinrich Schmidt (Jena)." Der Verfasser bespricht die erschienenen Kritiken der „Welträtsel" nnd sucht dabei Haeckels eigentliche Meinung klar zu machen. Von einer gründlichen Antikritik kann keine Rede sein, da auf 64 Seite» nicht weniger als 72 Broschüren und Zeitschriftenaufsntze abgefertigt werden. Meinen Aufsatz: „Haeckels Schwnuengesaug" im 27. Heft