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Die Kaiserfahrt nach Rußland.
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242 Die Kaiserfahrt nach Rußland.

Verlaufe des polnischen Aufstandes von 1863 sich für Rußland sehr nützlich erwiesen und anderseits, als König Wilhelm die Lösung der deutschen Frage, erst Österreich, dann Frankreich gegenüber, in die Hand nahm, auch Preußen zu gute kamen. Preußen fand noch während des Krieges mit Frankreich Ge­legenheit, sich für das russische Wohlwollen dankbar zu zeigen, indem es dem Zarenreiche die 1856 Verlorne Freiheit des Schwarzen Meeres wiedergewinnen half. Und nicht geringere Freundschaftsdienste leistete die deutsche Politik der russischen während des letzten Türkenkrieges und bei Abschluß des Berliner Friedens. Nußland hatte den Kongreß erstrebt und durch Vermittlung des deutschen Reichskanzlers herbeigeführt. Der Kanzler bekämpfte die russischen Anträge während der Verhandlungen niemals, unterstützte sie vielmehr in allen Fällen nach Möglichkeit. Einigemale befand sich die Vertretung Deutschlands ans dem Kongresse mit derjenigen Nußlands in der Minderheit, bei den meisten Fragen aber, wo Meinungsverschiedenheit in Betreff russischer Wünsche eintrat, gelang es dem deutschen Einflüsse, diesen Wünschen Befriedigung zu verschaffen. Mitunter und zwar gerade bei den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten über Abtretung von Gebiet an Nußland hatte Fürst Bismarck hierbei erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, und diese wurden dann mehrmals nur durch die Erklärung beseitigt, daß Deutschland auf weitere Beteiligung am Kongresse verzichten werde, wenn man die russischen Forderungen ablehne. Den berech­tigten Interessen der Russen war also von seiten Deutschlands jede Förderung widerfahren, die sich mit denen der Österreicher vertrug, und der Kanzler hatte dem durch den Krieg mit den Türken erschöpften alten Verbündeten einen Weg zwischen Demütigung und einem schwereren Kampfe mit Österreich-Ungarn und England geöffnet. Daß er nicht mehr thun, nicht alle Ansprüche der russischen Politik vertreten und unterstützen konnte, weil er sich und Deutschland dadurch mit dem übrigen Europa verfeindet hätte, war selbstverständlich. Ju den pan- slawistischen Lagern zu Moskau und St. Petersburg aber wollte man das nicht verstehen. Man hatte hier in seiner Begehrlichkeit und seinem Hochmut nicht Freundes-, sondern Vasallendienste verlangt.

Immer seit König Wilhelms Thronbesteigung war das politische Ideal der preußischen Politik ein möglichst gutes Einvernehmen der drei östlichen Großmächte gegenüber Frankreich gewesen, eine Rückkehr zu der Vereinigung derselben, wie sie von 1815 bis zum Krimkriege bestanden hatte. Die Ereignisse von 1854 hatten Österreich von Rußland, die von 1866 hatten es von Preußen und Deutschland getrennt. Aber sofort nach der Bildung des neuen Deutsch­lands in seiner anfänglichen Gestalt wurden von Berlin Versuche zur Ver­wirklichung jenes Ideals unternommen, und kaum war der Norddeutsche Bund zum deutschen Reiche geworden, so wurde diese Arbeit der Versöhnung, die sich bisher nur auf Österreich erstreckt und hier wenigstens ein leidliches Ergebnis gehabt hatte, thatkräftig wieder begonnen und auch auf das Verhältnis Öfter-