Beitrag 
: IV. Die Reise nach Sibirien.
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Packpferden, theils auf einem kleinen mit Hunden bespannten Schlitten brachte; sein Nachtlager hat er auf dieser Reise oft unter freiem Himmel, im Schnee und bei 30» (Neaumur) Kälte halten müssen. Nishni-Kolymsk ist derselbe Ort an welchem zur Regierungszeit der Kaiserin Elisabeth Petrowna der frühere Minister Graf Golowkin als Verbannter gelebt hatte. Eine locale Volks­sage erzählt, daß man den bejahrten und kranken Verwiesenen gezwungen habe, an Festtagen in die Kirche zu gehen, damit er hören könne, wie nach Beendigung der Liturgie der Geistliche über ihn das Anathema aussprach. Die nächste Kategorie der noch abgefertigten Verschwörer umfaßte die Personen, die zu gemeinen Soldaten degradirt worden waren und als solche ihr ganzes Leben in Sibirien verbringen sollten; sie wurden in ver­schiedenen kleinen Festungen und Burgen Sibiriens untergebracht und später in die kaukasischen Berge versetzt.

Im August hörte dieAbfertigung" der Staatsverbrecher für einige Mo­nate auf, weil man die zur Zwangsarbeit Verurtheilten nicht Alle in Ner- tschinsk vereinigen, auch nicht in einem andern Bergwerke concentriren wollte, indem man einen Aufstand in den größeren Bergwerken befürchtete; diese Vorsicht war nicht überflüssig, wie die Begebenheiten in Nertschinsk später bewiesen haben. Im August 1826, kurz vor der Krönung des Kaisers Nikolaus, wurde der Commandeur des Sewersky'schen reitenden Jägerregi­ments, Obrist S. N. Lenarsky, zum Commandanten der nertschinsk'schen Berg­werke ernannt. Ihm war befohlen einen Ort jenseit des Baikal-Sees zu er­mitteln, der zur Anlegung eines provisorischen Gefängnisses geeignet sein sollte, bis ein anderer Ort zur Erbauung eines festen Gefängnisses oder eines Zuchthauses bestimmt sein würde. Lenarsky reiste sogleich ab und wählte die sibirische Festung Tschita, zwischen Wyschne-Udinsk und Nertschinsk ge­legen und etwa 400 Werst von letztgenannter Stadt entfernt. In Er­wartung seiner Entscheidung und seines Berichts wurde unsere (d. h. meine und der übrigen Verurtheilten der fünften Kategorie) Absendung aufgeschoben. Um die überfüllte Festung in Petersburg zu räumen, wurden Einige von den Verurtheilten auf mehrere Monate nach Schlüsselburg, Andere in die Gefängnisse von Finnland und der Alandsinseln versetzt; die Uebrigen blieben in den Kasematten sitzen, wo nach der Verurteilung die Ueberwachung nicht mehr so streng blieb, wie zur Zeit des Verhörs und der Untersuchung.

Die uns zu Theil werdende Erleichterung bestand darin, daß man uns einzeln nach der Reihenfolge in ein Vorhaus führte, wo Thüren und Fenster offen waren und wo wir täglich etwa zwanzig Minuten lang frische Luft schöpfen konnten; ferner führte man uns alle zehn oder vierzehn Tage in der Festung und auf dem Walle spazieren. Diese Maßregel war dringend nothwendig: die blaßgelben Gesichter der meisten Eingekerkerten zeugten von