Am Weiten Jahrestag der Schlacht von KöntMätz.
X „Nicht rühmen kann ich, nicht verdammen, untröstlich ists noch aller- wärts, doch sah ich manches Auge flammen und klopfen hört ich manches Herz." Mit diesem Wort tiefbewegter Klage schloß Uhland das Lied, welches der dritten Wiederkehr des Tages von Leipzig galt. Uns, die wir heute den Jahrestag der Schlacht begehen, welche den zweiten deutschen Befreiungskrieg entschied, uns wird nahe liegen, an dem Maßstabe dieses Wortes zu prüfen, wie die beiden Jahre, welche den 3. Juli 1866 vom heutigen Tage trennen, benutzt worden sind und ob wir zu „rühmen" oder zu „verdammen" haben, wenn wir auf die jüngste Phase deutscher Entwickelung zurückblicken.
Als sich der Pulverdampf des letzten Krieges verzogen hatte, waren es vornehmlich zwei Fragen, welche denen gegenüberstanden, die sich für die Consolidation der neugeschaffenen Verhältnisse mitverantwortlich wußten: „Was wird aus dem Süden?" und „Wie wird sich das Verhältniß der preußischen Regierung zu der großen liberalen Partei gestalten, welche die öffentliche Meinung Norddeutschlands wesentlich vertritt?» Für die Gegner stellte die Frage sich anders; die überhaupt wußten, was sie wollten, blickten über den Rhein und fragten nach dem Termin für die französische Intervention, welche ihnen unausbleiblich schien. Der Anspruch auf französischen Schutz für die durch den ersten Napoleon geschaffenen kleinen Souveränitäten gehört ja von Alters her zu den „Grundrechten" des deutschen Par- ticularismus.
Liegt auf die Frage, welche das Herz des deutschen Volks damals zu Hoffnung und Furcht bewegten, heute eine Antwort vor oder sind wir dazu verurtheilt, 1868 weiter zu conjecturiren, wie wir es 1866 gethan? Sehen wir die Dinge rein äußerlich an, so muß die Antwort zweifelhaft erscheinen. Es ist in jeder Beziehung anders gekommen, als damals erwartet und berechnet worden. Alles mögliche hatte man in Rechnung gezogen, — nur ein Moment nicht: jene vis mertiae, die in Augenblicken der Erregung regelmäßig übersehen wird und ihr Recht doch jedesmal geltend macht, wenn
Grenzbotcn III. 186S. - 1