L8
der beiden Charaktere zur Geltung zu bringen. Die ausführliche Schilderung von Peters Rohheit und Grausamkeit erregt wohl Abscheu, reicht aber nicht aus, um eine Borstellung von der im Guten wie im Bösen furchtbaren Leidenschaft dieser gewaltigen Natur zu geben. Unsern Autor fesselt das fremdartig Abenteuerliche mehr als das Furchtbare, Gewaltige. Mit besonderer Ausführlichkeit weilt er z. B. bei der romantischen Jugendgeschichte der Kaiserin Katharina, der Gemahlin Peters, für die er sich auf „neue und bis jetzt verborgene Documente" beruft; auch der Conflict zwischen Peter und seinem Sohne wird sehr ausführlich erzählt, ebenso die Geschichte der letzten Lebensjahre des Czarcn und der Untreue der Kaiserin Katharina (nach „neuen und vollständigen Enthüllungen über die Häuslichkeit des Czaren".) Auch den Liebesgeschichten der Czarin Katharina der Zweiten wird ein unverhältnißmäßig großer Raum gewidmet; so sehr sie Courtisane war, der Kern ihres Wesens liegt doch in ihrem dämonischen Ehrgeiz. Allerdings schildert Lamartine auch diese Seite ihres Wesens mit lebhaften Farben; um sie aber vollständig zur Anschauung zu bringen, hätte er tiefer in die Natur ihrer politischen Entwürfe eindringen müssen, als er es gethan hat. So macht er z. B. auf den Contrast aufmerksam zwischen ihrer Vorliebe für die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts und ihrem legitimistischen Haß gegen die französische Revolution. Dieser Contrast besteht in Wirklichkeit gar nicht, man wird der Czarin schwerlich Unrecht thun, wenn man ihr Dräugen gegen Frankreich für eine wohl berechnete Heuchelei ansieht. Sie trieb allerdings Oestreich und Preußen in den Krieg gegen Frankreich; sie selbst aber dachte nicht daran, sich für ein so ideales Ziel in Unkosten zu setzen; für sie hatte, das haben die neueren Forschungen außer Zweifel gestellt, der Nevolutionskrieg nur das eine Interesse, daß er ihr gegen Polen freie Hand ließ. Man würde ihrem Verstände Unrecht thun, wenn man in ihrem politischen Streben auch nur einen Funken von romantischen oder legitimistischen Tendenzen suchen wollte. Liebenswürdig und selbst großmüthig im Privatverkehr, so weit die Zügellosigkeit ihrer Neigungen edlern Gefühlen Raum ließ, kannte sie in der Politik nur die Gebote der Selbstsucht und des Ehrgeizes.
Es ist die erwähnte Aeußerung aber ein Beleg dafür, daß Lamartine die allgemeinen historischen Verhältnisse, in denen Peter und Katharina sich bewegt haben, nicht mit der genügenden Schärfe aufgefaßt hat, was besonders der an anziehenden Episoden so reichen Biographie Peters Abbruch thut. Die Civilisationsbestrebungen Peters werden einerseits nicht eingehend genug behandelt, um dem Eindruck, den die ausführliche Schilderung seiner Nohheit, Grausamkeit und Zügellosigkeit auf den Leser macht, das Gleichgewicht zu halten, andrerseits wird gelegentlich und besonders in den Schlußworten der Werth derselben offenbar zu hoch angeschlagen. Allerdings ist Peter der Gründer der russischen