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Kleine ästhetische Streiszüge. 3.
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rechtigung nur derjenige vollständig ermessen kann, der mitten darin lebt. Es kann vorkommen, daß ein Professor, der in seinem Auditorium wie in einer Familie lebt, sich zu manchen Ercursen nicht blos berechtigt, sondern berufen glaubt, die man außerhalb dieses intimen KreiscS mißversteh« würde, und deren ' öffentliche Besprechung daher eine Jndiscrction wäre. Allein dieses Recht der Privatbeziehuug gibt der Lehrer auf, sobald er seine Vorlesungen drucken läßt, auch wenn er wie Professor Erdmann erklärt, er habe bei der Veröffentlichung seiner Vorlesungen hauptsächlich an seine Zuhörer gedacht.

Hier drängt sich nun zunächst eine ganze Vorlesung auf, in welcher Erdmann sein eignes Leben, seine Studien und Erfolge beschreibt. Er motivirt es da­durch, daß die encyklopädische Bildung, die er durchgemacht, ihm das Recht gibt, niehr als andere Universitätslehrer, die einen einseitigen Bildungsgang durchge­macht, grade über diesen Gegenstand seine Idee» auszusprechen. Aber man kann bei der schönen Wärme, mit der er seinen Lebenölanf betrachtet, doch den Wunsch nicht unterdrücken, dasselbe aus einem andern Muude zu hören. Noch schlimmer ist, daß er bei dieser Gelegenheit auf andere Männer eingeht, auf seine jetzigen und ehemaligen Kollegen, denen er vor den Studircnden nicht in Bezug auf ihre wissenschaftlichen Ideen, sondern in Bezug auf ihren menschlichen Charakter die ärgsten Injurien sagt. Wir sind mit den Disciplinargesetzen der Univer­sitäten nicht vertrant genug, um beurtheilen zu können, wie weit daS in äußer­licher Beziehung statthaft ist, schicklich ists auf alle Fälle nicht. Gewiß gibt es Streitfragen, in denen der Schriftsteller das Recht hat, auch die Person seines Gegners ins Auge zu fassen; die Versammlung der Studenten ist aber gewiß nicht das Forum, vor welchem man seine College» deS Wortbrnchö, der Feigheit, selbst der Feilheit zeihen darf; noch dazu in so burlesken Aus­drücken wie eS Erdmann z. B. S. 32 und S. -Ilii thut. Er scheint freilich das Verhältniß zu den Studirenden anders aufzufassen, er macht ans den HöflichkeitSrcdensartenmeine hochzuverehrenden Herrn!"meine Herrn Comi- litonen" u. s. w. eine Begriffsbestimmung, als ob hier von einem Verhältniß zwischen Gleichen die Rede wäre; aber eine solche Auffassung ist sowol der Wissenschaft als des akademischen Berufs unwürdig. Der Professor ist der Leh­rer, der Student der Schüler, und jeder tüchtige Student wird die Versicherung, daß dem nicht so sei, mit verächtlichem Achselzucken aufnehmen; jeder tüchtige Student wird die leider nnr zu häufige Neigung der Professoren, sich zu ihm herabzulassen, seine Kneipsprache zu reden, ihn mit guten ober schlechten Witzen zu unterhalten, als eine Beleidigung empfinden. Man wende auch nicht ein, daß der Gegenstand das so mit sich bringt. Fichte, Schleiermacher, Schelling und andere haben über denselben Gegenstand Vorlesungen gehalten, ohne sich herabzulassen, sie haben grade dadurch, daß sie dem Problem die höchste und rciuste Idealität gaben, jene ernste und nachhaltige Begeisterung hervorgerufen/