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angelegt und hat mehr Composition als einer der bisher besprochenen. Der Verfasser hat die Verirrungen darzustellen gesucht, in welche ein ursprünglich wohlgesinnter Charakter kommt, wenn er da, wo es auf sein Lebensglück ankommt, der Stimme der sogenannten Weltklugheit zu viel Gehör gibt. Er hätte seinen Zweck noch mehr erreicht, wenn er bescheidnere Farben gewählt hätte. Seine Darstellung einer Convenienzheirath ist nach beiden Seiten hin carrikirt und flößt keinen Glauben ein; und auf der andern Seite fehlt der tugendhaften Heldin zu sehr alle natürliche, menschliche Regung, alle Erinnerung menschlicher Schwäche, als daß wir nicht auch hier hin und wieder ungläubig werden sollten. Einen großen Theil seiner Erzählung hat der Verfasser nach Amerika verlegt. Die dortigen Zustände sind mit einer Bitterkeit geschildert, die fast noch über Dickens hinausgeht. Hin und wieder merkt Man wol, daß durch einige hellere Schilderungen die Einförmigkeit dieses Gemäldes unterbrochen werden soll, allein diese treten zu wenig hervor, um den Zweck zu erreichen. — Bei künftigen Versuchen wäre dem Dichter ein strengeres Zusammenhalten und ein sorgfältiges Vermeiden aller Sprünge anzuempfehlen. —
Erinnerungsblätter aus dem Leben e in es Crim ina list en. Von Ernst Fritze. Leipzig, Kollmann. — Eine große Zahl ziemlich pikanter Mminalistischer Anekdoten, sämmtlich von einem sehr düstern und häßlichen Inhalt. Der Verfasser erklärt in der Vorrede seinem Leser, „daß er keine Erdichtungen zu erwarten hat, sondern actenmäßig verbürgte Thatsachen, denen das Gewand der Novellistik eine gewisse Abruudung verliehen hat, ohne der historischen Genauigkeit des Factums im mindesten Abbruch zu thun." — Es scheint uns aber unmöglich, beides so miteinander zu vereinigen, daß nicht das eine oder das andere darunter litte. Will man eine Criminalgeschichte einem Noman zu Grunde legen, so muß die Thatsache nach ästhetischen Gesetzen bearbeitet werden. Will man aber historische Wahrheit, so muß man "vvellistische Abruntmng aufgeben. „ES ist jetzt gebräuchlich, sährt der Ber- sasser. fort, das Feld der Belletristik mit den Verirrungen des menschlichen Herzens zu staffiren, um dem Roman einen pikanten Zusatz in, halbwahren aufgegriffenen Criminalfällen zu geben. Hier in diesem Werk findet es der ^eser umgekehrt. Hier ist die Form und die Sprache der Belletristik entnommen; hier ist der Phantasie nur soviel Spielraum gestattet, um die Staffage bilden öu können, und alles übrige ist der unverletzt gebliebene Körper Wahrheit, dem man nur die Monotonie der juristischen Berichterstattung rauben wollte." ^'n ganzen scheint doch beides aus dasselbe herauszukommen; und wenn wir dem Verfasser auch gern das Zeugniß ausstellen wollen, daß er nicht in der Weise der französischen Belletristen hat die Phantasie aufreizen wollen, so bleibt doch immer die Häßlichkeit des Gegenstandes, die nur durch eine bestimmt her-