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Wochenbericht.
'Bemerkungen über die politische Situation. — Es scheint, als ob wir im Laufe der gegenwärtigen Verwirrung den Wechsel zwischen Furcht und Hoffnung noch öfters werden durchmachen müssen. Nach dem Vertrage Oestreichs mit der Türkei schien die Lage der Dinge so klar gezeichnet, daß sie keinem weiteren Zweifel Raum ließ, und die Antwort, die Rußland auf die östreichische Aufforderung ertheilte, war von der Art, daß man die weitere kriegerische Entwicklung als unvermeidlich betrachten konnte. Nun scheint aber in der Haltung Oestreichs doch ein Schwanken oder wenigstens ein Zandern eingetreten zu sein, welches man durchaus uicht vollständig erklärt, wenn mau es Berliner oder Bamberger Einflüssen beimißt. Glücklicherweise haben sich die Thatsachen bereits so verkettet, daß sie aus die Dauer eiuc wesentlich veränderte Richtung der Politik ausschließen; wie das ja auch die osficiösen Blätter von Berlin, Wien und Frankfurt allmälig zu begreifen scheinen. — Unter diesen Umständen, wo die Einheit Deutschlands, die bisher durch innere Entwicklung angestrebt wnrdc, sich durch den äußern Drang der Ereignisse von selbst zn ergeben scheint, hat auch der deutsche Bnud ciu Lebenszeichen von sich gegeben, welches freilich bei der großen Mehrheit des deutschen Volkes keinen besondern Dank finden wird. Die Einheit Dcntschlands soll zunächst in der Prcßgesetzgcbuug hergestellt werde». Wenn dieser Zweck wirklich erreicht würde, d.h. wenn die Presse nicht blos gemeinschaftlichen Schranken unterworfen, sondern auch durch einen gemeinsamen Rechtsschutz sichergestellt würde, so würden wir uns gern die ailcrstrengstcn Bestimmungen gefallen lassen. Allein Wir fürchten, daß das nicht der Fall sein wird. Soviel bis je-tzt davon verlautet, soll für Verleger uud Drucker wieder Concession eingeführt werden, mit andern Worten das administrative Ermessen wird wieder über die richterliche Entscheidung gestellt. Ferner hebt die Bundescontrole keineswegs die Vexationcn von Seiten der Polizei der einzelnen Staaten auf. Der Staat, in welchem ein Blatt erscheint, behält das Recht, nach Maßgabe seiner eignen Gesetzgebung dasselbe zu unterdrücken. Jeder andere Staat behält das Recht, es innerhalb seiner Grenzen zu verbieten, und außerdem hat sich uun der Bundestag seinerseits das Recht vindicirt, so oft es ihm gut scheint zu intervenircn. Wir würden auf diesen Umstand weniger Gewicht legen, wenn nur die Presse darunter litte; denn obgleich wir selbst sehr wesentlich dabei bctheiligt sind, so würden wir doch eine Prcßbcschränkung gelten lassen, wenn das allgemeine Wohl.davon nicht beeinträchtigt würde. Ja so sehr wir die Freiheit lieben, wir würden Beschränkungen der Freiheit gern ertragen, wenn nur durch eine kräftige, energische und patriotische Regierung das Selbstgefühl des deutschen Volkes erhöht würde. Allein diese Beschränkuugcu'dcr Presse wirken zugleich auf die allgemeinen Rechtsverhältnisse ans das nachthciligstc ein. Wenn in dem einen Falle die Verwaltung- in das Gebiet der Rechtspflege übergreift, so wird sie sich auch in allen andern Fällen dazu versucht fühlen. Und das ist in Deutschland um so schlimmer, da hier kciue einheitliche energische Verwaltung cxistirt, vor deren Willen man Respect haben müßte, auch wo man durch ihn betroffen wird, sondern nur eine Reihe kleiner Verwaltungen, die man nicht berechnen kann und die durch ihren