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Seitdem jedoch der typische Repräsentant der ganzen Richtung, Görres, nach München seinen dämonischen Haß gegen alles einfache, klare und begreifliche in Natur und Geschichte verpflanzt hatte, und damit manchem den Kopf zu verwirren begann, wurde jene blos exceptionelle Liaison zn einer dauernden uud für Baiern höchst verhängnißvvllen umgewandelt. Selbst in München übersah man die Gefahr der Allianz fast ein ganzes Jahrzehnt, und doch hat sie eigentlich erst der Partei ihren allseitigen Einfluß gegeben. Auch darf nicht übersehen werden, daß jene Görres'sche Mystik die Vermittelung zu einer damals nur embryonisch vorhandenen Fraetion des Protestantismus bildete, welche so gut wie die Ultramontanen später zu großen Dingen bestimmt war. Görres uud Schelling konnten damals uoch als Alliirte betrachtet werden. Sie sind es im Grunde auch immer geblieben und nnr äußere Verhältnisse haben sie etwas auseinander gebracht. So z. B. Schellings Natur doch zu aristokratisch polirt, als daß er einem Döllinger und andere plebejische Mönchskutten sich hätte so nahe kommen lassen, wie es später GörreS that. — Unter Schellings Auspicicn begann sich damals eine bairisch-protestantische Philosophie zn entwickeln, die in den nächsten Jahren allerdings noch nicht in's Leben eingriff, weil ihre Jünger als demüthige Kandidaten des Predigt- oder Schulamts umhergingen, die jedoch bald in Verbindung mit eiuer audern innerhalb des Protestantismus selbst aufgetauchten Richtung großen Einfluß auf die innere Geschichte Baicrns gewann.
Die protestantische Kirche Baicrns, iu der so gut wie in allen anderen deutschen Landeskirchen der nlUoimIi«»»!« vulx-n-is und «nliliiui« während der ersten zwanzig Jahre des lanfenden Jahrhunderts ausschließlich dominirte, erfuhr in dieser Zeit die ersten Spureu der Reaction eines tieferen geistigen Elements, das in der deutschen wissenschaftlichen Theologie damals in zwei Hanpterschcinnngen, Schlcier- macher und Tholuck, aufgetreteu uud jener behaglichen Plattheit für immer den Rang abgelaufen hatte. Nach dem ganzen Zuschnitt des geistigen Lebens in Baieru kouute die erste dort keinen Eingang gewinnen, da man sich dort an der wissenschaftlichen insbesondere philosophischen Arbeit der letzten Jahrzehnte viel zu wenig bctheiligt hatte. Die zweite lag um vieles näher, dazu befähigte schon das bloße Verlangen nach consistenterer und nahrhafterer Speise, als sie die damaligen rationalistische» Professoren der Universität Erlangen zu gewähren vermochten. Es war aber nicht zu vermeiden, daß die sogenannte orthodoxe Spekulation Tholnck's, als man sie nach Baiern verpflanzte, allmälig mehr und mehr ihre Mystisch-poetische Verbrämung abnutzte und bald nur uoch von der haltbaren aber groben Sackleinewand der altluthcrischen Orthodoxie des 17. Jahrhnnders bekleidet war. Jene rein individuelle Tholnckische Zuthat konnte höchstens sich auf eben so raffinirte Geister verpflanzen; die vom gewöhnlichen Schlag hielten sich an den Stoff selbst. In pliiloso^iici« trösteten sie sich überdies damit, daß ihnen jene Schellingische Philosophie der zwanziger Jahre, vor der sie zwar wenig Ver-