T a g e b u ch.
l.
Kühne über Berlin. (Brieflich aus Vcrlin.>
— — So ist man hier. Als kürzlich Stcrnbcrg, der geistreiche Roccocv- romantikcr, unsere sociale Welt in seiner „Diane" carrikirte, als er unserem lächelnden Bewußtsein die Glacehandschuhe in's Gesicht schlug, war mehr Gekicher als Aerger, mehr Gezische! und boshaftes Hindeuten auf getroffen sein sollende Persönlichkeiten als gerechter Unwillen in Berlin; auch wüßten wir nicht, daß, außer in Ihrem Blatte, irgendwo das Schielende und Crasse des Sternverg'schen Gemäldes gerügt werden wäre. Sie werden sagen, „Diane" sei als eine künstlerische Production nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Allem auch der Roman, der auf wirklichem Boden spielt, gibt durch die Art der Auffassung ein mittelbares Urtheil ab. Nein, das ist es nicht. Sondern die Frivolität läßt sich von ihres Gleichen die bcschimvfendsten Dinge in's Gesicht sagen und — lächelt; weiß sie doch, daß hinter ihrem boshaftesten Spott keine Gesinnung, kein störendes Rcformirenwollen, keine Tendenz steckt: nur den Blick des ernsteren Geistes, die Stimme des Charakters kann sie nicht ertragen. Daher der heftige Widerspruch, den gerade die Gewissenhafteren in der neuern Literatur, wenn sie „raisonnircn", von einer zahlreichen Partei erfahren. Sternberg's Frivolität und Pückler's Medisance werden vielleicht selbst an Wolsgang Mcnzcl einen Schutz- und Lobredner finden; aber wehe dem, der, statt zu medisircn, urtheilt, der statt des Lorgnons die Lupe, statt der cheva- leresken Reitpeitsche die Geißel führt. Die Verfolgung der Tendenz ist unter sehr verschiedenen Gestalten aufgetreten. Erst machte man dem Schriftsteller das Recht streitig, über öffentliche Dinge der Gegenwart zu sprechen. Als tas Recht bewiesen war, klagte man ihn der Oberflächlichkeit an und