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Deutsche Rechtsaltertümer in unserer heutigen deutschen Sprache : (Fortsetzung) : 6. Gerichtsverfassung und Prozeß (Allgemeines; das Verfahren bis zum Beweise)
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zugrunde bei den Zeitwörterndingen" (ausdingen, abdingen; ursprüng­lich gerichtlich verhandeln, dann verhandeln überhaupt, feilschen, anwerben, mieten),(sich) verdingen,"bedingen" (ausbedingen),jemand dingfest machen" ( festnehmen zur gerichtlichen Uutersuchung). Dasselbe gilt natür­lich vvn den SubstantivenBeding,"Bedingung,"Vcrdingung," Gedinge" (Leibgedinge"). Aber auch in dem bekannten Spruche:Ällesrj guten Dinge sind drei" bedeutet Ding zunächst Gerichtsverhandlung oder Gerichtstermin; er hatte also ursprünglich einen spezifisch juristischen Inhalt, während wir ihn heute nur in einem ganz allgemeinen Sinne gebrauchen,etwa wie in Lessings Minna von Barnhelm der Wirt dies Sprüchlein bei Prüfung des dritten Glases echten Dcmzigers dem zögernden Just in empfehlende Er­innerung bringt" (Cvhn, Deutsches Recht im Munde des Volks usw., Heidel­berg 1888, S. 4). Wie die Zahl drei eine mythische Zahl aller Natur­religionen von jeher bei den Germanen als heilig gegolten und in Sage, Religion, Sitte und Recht eine hervorragende Rolle gespielt hat, sokonnte auch vor Gericht . . . keine Verurteilung in der Sache selbst ergehn, bevor nicht eine dreimalige Vorladung des Verklagten stattgcfnnden, ... es mußten eben der ordentlichen Gerichtsversannnlungen, der echten oder guten Dinge sGegens.: gebotene Dinges drei sein" (Cohn, a. a. O.). Erst nach dreimaligem Nichterscheinen konnte also gegen den Ausgebliebnen ein Kontumazialverfnhren eingeleitet, und er dnriu verurteilt werden (vgl. z. B. Sachsensp. I I I, Art. 39, § 3), wie er umgekehrt auch freigesprochen wurde bei dreimaligem Ausbleiben des Klägers,wenn dieser ein Gut mit. Beschlag belegt hatte" (vergl. Sachße in d. Zeitschr. f. deutsches Recht, XVI 1856, 'S. 121/22).

Auch unsre Ausdrückeverteidigen,"Verteidigung" undVer­teidiger," wie noch jetzt gesetzlich der Rechtsbeistand des Angeklagten im Straf­prozesse heißt, stehn in einem viel engern Zusammenhange mit demDing" des altdeutschen Rechtslebens, als man auf den ersten Blick vermutet. Da nämlich bei den Germanen nach einem wohl alt-arischen Grundsätze die Rechtspflege ruhen mnßte, sobalddie Sonne zu Gnaden gegangen," oder mit andern Worten jede Gerichtsverhandlung regelmäßig nur bei Tage (vor Sonnenuntergang) geschehen durfte, so bezeichnete man sie auch wohl statt bloß alsDing" genauer alsTageding" (cihd. wAaäino, altsächs. clggÄ- tlungi, clAAtlrinAi, niederd. ZeMäinZ). Daraus entstand dann zunächst das ältere WortTaidiug" oderTeiding" (schon mhd. wiclwc:, ttüäinA^gericht­liche Verhandlung, Unterhandlung," später auchunnützes Geschwätz"; vergl. Narrenteidinge" Narretei) und weiter durch Vermittlung des Zeitwortes tÄMclinAkir" (ahd. tÄAo,clinA0n, niederd. äciFeclinASn, cleAeäinß'cm, eigentlich: eine sRechtsjsache während eines Tages- zu Ende bringen) odertkickisnjgcin/ .cl^njg'6n (verwandt cmch mitbetätigen," seit dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert auchvortÄclisnsg'srt," uiederl. verclocliMm) unser neuhochdeutsches verteidigen" (und das HauptwortVerteidigung") sür die Tätigkeit des Nechtsbeistandes vor Gericht (desVerteidigers"), dessen jetziger Gebrnnch auch fürsich wehren" im Kampfe mit der Waffe und dann überhaupt fürsich verantworten," mithin erst als eine Erweiterung des ursprünglichen, rein juristischen Begriffes erscheint.

Bei dieser Gelegenheit sei zugleich noch daran erinnert, daß der Ausdruck Tagfahrt," d. h. ursprünglich die Fahrt znr gerichtlichen Verhandlung, dann diese selbst (vergl. das Holland. Dg^v-uu-ä Landtag), für denTermin" zu einer Gerichtsverhandlung nach dein oberdeutschen Sprachgebrauche noch jetzt ziemlich allgemein geläufig ist, während sich das einfache WortTag" von seiner engern BedeutungGerichtstag,"Gerichtssitzung" in gewissen Zusammen­setzungen zu dem BegriffeSitzung" oderVersammlung" überhaupt (so z. B.Juristen-, Philologen-, Ärztetag"), ja sogar zu einer Bezeichnung von