Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
von Günther in Gießen (Fortsetzung)
6. Gerichtsverfassung und Prozeß (Allgemeines; das Verfahren bis zum Beweise)
ls eine fast ebenso reiche Quelle für die inannigfachsten Wortgebilde und Redcweudungen unsrer täglichen Umgangssprache wie das Strafrecht früherer Zeiten erscheint endlich auch das ältere deutsche Gerichtswesen, die Gerichtsverfassung uud das Gerichtsverfahren. Der Grund dafür ist wohl vor allem darin zu sehe», ..daß sich, ebenso wie einst die Strafvollstreckung, auch der ganze Prozeß — und zwar ursprünglich sowohl in Zivil- als in Strafsachen - jahrhundertelang in vollster Öffentlichkeit (und nach dem Grundsätze der Mündlichkeit oder Umnittelbarkeit) abgespielt hat, sodaß seine einzelnen Vorgänge und die darauf bezüglichen besondern Ausdrücke beim Volle schon fest emgelebt waren, als später der auf den Prinzipien der Heimlichkeit und Schrift- uchkeit beruhende „gemeine" Prozeß vorübergehend zur Herrschaft gelangte.
Ganz besonders charakteristisch tritt die innige Beziehung der deutscheil Sprache zu dem Gerichtswesen zunächst schon darin hervor, daß unsre beiden allgemeinsten Wörter, die wir jetzt täglich, ja stündlich für die verschiedensten Gegenstände uud Begriffe im Mnnde führen, nämlich „Ding" und „Sache," ou!sem Nechtszweige entlehnt süld. „Ding" (cchd, nnd mhd. clino skillinoj, cking'; altnvrd, tlüuA, langob, t-lliux) bedeutete' nämlich ursprünglich die Gerichtsver- mmmlung oder Gerichtsstätte, auch wohl die öffentliche Versammlung überhaupt, woran noch der heutige Gebrauch von „Thing" in den nordischen Ländern zur Be- Mchnnng der parlamentarischen Versammlungen, wie Folkething, Landsthing, ^torthing usw., erinnert. Weiter umfaßte das Wort die Gerichtsverhandlung und im Anschluß daran auch wohl andre Verhandlungen oder Angelegenheiten ^'rgl. Luthers Bibelübersetzung: „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle ^nue Dinge beschicken," ferner: „das ist ein ander Ding," „vor allen -^ngeii," ^guter Dinge sein," „mit rechten Dingen zugehn," auch "Ichlechterdings," „nenerdings," „allerdings" usw.). Weil aber auch oer Gegenstand der Gerichtsverhandlung als „Ding" bezeichnet wurde, so M stch danach schließlich eine Übertraguug auch auf jeden andern Gegcn- mno, ^ „substantielle Sache" überhaupt ergeben; daher auch „die ding- ^chte," ein „dinglicher Anspruch" oder die „Dinglichkeit" eines Rechts- "ryMmsses in der juristischen Terminologie. Ja sogar damit erscheint die Ent- -omuttigsgeschlchte des Wortes noch nicht völlig abgeschlossen, deun in neuerer ^ ^" ^ verächtlich wohl auch für Menschen („der Dings, Dingsda ^r Duigerich"), namentlich für Kinder oder Mädchen („dnmmes. einfältiges -"i g ) gebraucht. Trotz alledem vermag der Sprachforscher auch heute , ^ ""^'^ Grundbedeutung von „Ding" in verschieden Ausdrücken "uo Redensarten unsrer Sprache zu erkennen. Sie liegt z. B. ohne Zweifel