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Der Marquis von Marigny: eine Emigrantengeschichte : (Schluß). 13
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Der Marquis von Marigny

Der Fährmann riß den glücklichen Passagier nur zu bald aus seiuem schönen Wahne.

Mainz hat kapituliert, sagte er, eben ist die Stafette durchgekommen. Nun werden sie Wohl Frieden machen.

Und so betrat man unter Glockengeläut den Boden der neuen Heimat. Denn daß der Gasthof gekauft werden würde, stand für die drei Beteiligten längst fest. Der Kaufpreis war mäßig, das Wein- und Ackerland gut, die Gebäude schienen im beste» Zustande, und die Küche, die in diesem Falle ja den Ausschlag gab, übertraf sogar Marignys kühnste Hoffnungen. Und ehe die Sonne hinter dem Krcmenberge zur Rüste ging, hatte Villeroi den Kaufakt unterzeichnet. Er blieb, während die andern noch an demselben Abend nach Koblenz zurückfuhren, gleich in seinem neuen Besitztum, um die mannigfachen Förmlichkeiten zu erfüllen, zu denen er der Ortsbehörde gegenüber verpflichtet war. Am 1. September erfolgte dann die Übersiedlung.

Die Friedenshoffnungen gingen nicht so bald in Erfüllung, der Kanonendonner schien auf den Höhen des Hunsrückens und der Eifel nicht mehr verstummen zu wollen, und auch die Stadt, die den königstreuen Franzosen solange Schutz und Gastfreundschaft gewährt hatte, fiel in die Gewalt ihrer republikanischen Landsleute. Aber die Kriegswirren, die Tausende und aber Tausende um Hab und Gut brachten, sollten dem Hause mit dem steilen Dache und den Zwiebeltürmchen Segen bringen. Seit der Verkehrsstrom von der linken Rheinseite und vom Flusse selbst auf das rechte Ufer gedrängt worden war, wurden die achtzehn Lvgicrzimmer nicht mehr leer. Heute kehrten preußische, morgen österreichische, hessische oder nassauische Offiziere ein, bald kamen niederrheinische Kaufleute, die zur Frankfurter Messe reisten, bald wohlhabende Flüchtlinge vom linken Ufer, die bei der ersten Nachricht von der Annäherung des Feindes Hans uud Hof im Stich gelassen hatten. Die lauge Tafel im Speisesaal war stets besetzt, und bei den vortrefflichen Gaben des Kellers und der Küche vergaß mancher für ein paar Stunden die Aufregung des Tages und den Ernst der Zeit. Was aber das Seltsamste war: im Gasthofe des Herrn von Villeroi herrschte ein Ton, der jeden vergessen machte, daß er in einer Herberge sei, ein Ton, der die vornehmen Gäste wie ein Hauch aus dem eignen Heim anmutete und die gewöhnlichern mit der gehobnen, beinahe weihevollen Stimmnng erfüllte, die den dentschen Bürger sonst nur auf dem Parkett eines fürstlichen Hofes befällt. Und dieser aristokratische Hauch ging darüber waren sich alle Gäste, so verschiednen Gesellschaftsklassen sie auch angehören mochten, einig von dem alten Herrn aus, der das südliche Eckzimmer mit der schonen Aussicht rheinanfwärts bewohnte und bei jeder Mahlzeit, sobald die Suppe serviert worden war, sorgfältig frisiert und gepudert, gemessenen Schrittes in den Saal trat und seinen angestammten Platz am Kopfeude des Tisches mit einer leichten Verbeugung gegen die Nachbarn zur Rechten und Linken einucihm. Er sprach wenig und nur mit Auserlesenen, aber sein Appetit wirkte gewöhnlich ansteckend auf die Tischgeuossen, und sein Geschmack in Hinsicht auf die Weinkarte war für alle andern maßgebend. Obgleich er wohlbeleibt war, schien er die Vorliebe starker Leute für Ruhe und Bequemlichkeit nicht zu teilen: nach jedem Gange der Speiseil­folge Pflegte er nufzustehn, um sich, wie er sagte, durch eine kleine Promenade Appetit für die nächste Schüssel zu machen. Daß das Ziel dieser Promenade die Küche war, wo es immer noch etwas anzuordnen gab, ahnte freilich niemand. Die Gäste betrachteten ihn mit ehrerbietigen und teilnehmenden Blicken und munkelten sich zu, der alte Herr habe am Hofe des verstorbnen Königs von Frankreich eine hervorragende Rolle gespielt uud durch die Revolution sein gcmzes Vermögen bis auf die Kleinigkeit von zwei oder drei Millionen Livres verloren. Und oft geschah es, daß gegen das Ende der Tafel einzelne der Tischgenossen, vom Mitleid über-