Der Marquis von Marigny
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Er ist aber auch erst fünfviertel Jahre alt, bemerkte Margucrite lächelnd.
^ut nichts' Man könnte ihn feinem Verstände nach für einen Burschen von drei oder vier Jahren halten. Jedenfalls soll er mit. Ich. als der Großvater habe auch ein Wörtchen mitzureden. . ^. .
Da man in der Tat nichts Stichhaltiges gegen Claudes Teilnahme an der Landpartie vorzubringen wußte, setzte der Marquis seinen Willen durch und entschloß sich sogar, die Stunde der Abfahrt mit Rücksicht auf den Enkel von halb sechs auf halb sieben zu verschieben.
Das hinderte ihn jedoch nicht, selbst schon vor sechs tadellos frisiert nnd gepudert zwischen der Weisergnsse und der Posthalteret auf und ab zu spazieren, einmal, um durch sein Beispiel die Villeroischc Familie zur Beschleunigung der Reisevvrbereitnngeu anzuspornen, sodann aber mich, nm sich die Gewißheit zu verschaffen, daß man mit dem Anschirren der PostPferde rechtzeitig beginne. Der gnte alte Herr! In seinem ganzen Leben war er nicht so ungeduldig gewesen wie heute!
Und als man in Andernach glücklich angelangt war nnd am Ufer vernahm, daß die Fähre gerade auf der andern Nheinseite sei, wurde seine Geduld auf eine neue Probe gestellt, die um so härter sein mußte, weil man das Hans, dem seine Sehnsucht galt, jenseits des Stromes deutlich liegen sah. Es war ein köstlicher Sommermorgen; der Rhein glitzerte im Lichte der Sonne, über den Schiefer- Hängen der Uferbcrgc flimmerte die durchglühte Luft, und wo der Blick sich talwärts in die Ferne verlor, grüßte der düstre Felskvloß des Hammersteius wie ein trotziger Wächter dieser gesegneten Gebreitc herüber. Aber für dieses Landschnfts- bild hatte der alte Herr kein Auge. Er sah mir das Hans mit dem steilen Dache, den kurzen Zwiebeltürmchen, der langen Fensterreihe und dem schmalen, schönver- gitterten Balkon, das hinter Banmgruppcn halb versteckt die Reisenden zur Einkehr zu laden schien.
Es sieht in der Tat recht vornehm aus. bemerkte Marigny. während er dnrch das kleine Perspektiv im Knopfe seines spanischen Rohres hinnberschaute, zu Henri, ich finde sogar, daß es in mancher Hinsicht an Aigremont erinnert, obgleich es natürlich viel kleiner ist. Sieh nur, wie der Schornstein raucht! Ich glaube, man ist schon mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt!
Das Fährboot kam vom andern Ufer herüber nnd legte an. Mnriguy, der mit den Seinen sogleich eingestiegen war, fand es unbegreiflich, daß die Schiffer nicht gleich wieder abfuhren, sondern im Schatten des Zollhnuscheus in aller Ruhe ihr Frühstück verzehrten. Aber auch als sie damit fertig waren, machten sie noch keine Anstalten, sich wieder an die Nuder zu setzen, sondern erklärten geradeheraus, wegen dreier Passagiere führen sie nicht, und wenn nicht zum mindesten noch drei weitere kämen, blieben sie bis zum Mittage liegen. Nun zahlte der Marquis das Fährgeld für sechs Personen. Damit waren die Leute zufrieden, stießen vom Lande ab, ruderten eine Strecke weit stromaufwärts und ließen den Nachen dann von der Strömung hinübertreibeu. Als man die Mitte des Flusses erreicht hatte, wurden auf einem Altane des Gasthvfgartens drei Böller gelöst. Marigny zog das Schnupftnch und winkte.
Mau hat uns schon erwartet und sendet uns einen Willkomniengruß, sagte er, strahlend vor Glück. Die Leute gefnlleu mir, sie wissen doch, mit wein sie zu tun haben!
Einen Angenblick später dröhnten von der Höhe des Kranenbergs ebenfalls Schüsfe ins Tal, und auf den Türmen der Anderuacher Pfarrkirche begannen die Glocken ein wahres Jubelgeläut.
Nun wurde der alte Herr stutzig. Margucrite, wandte er sich an die Tochter, die, den kleinen Claude auf dem Schoße, neben ihm saß, das ist ja gerade wie damals, als wir den Winter in Paris verbracht hatten nnd zn Ostern wieder nach Aigremont kamen! Entsinnst du dich noch? Da läuteten sie auch das Glöckchen der Schlvßkapelle. und Jacques ließ am Portale die Böller krachen, daß die Pferde schen wurden und uns beinahe in den Weiher geworfen hätten.
Grcnzboten UI 1903 55