Lkkchard der Lrste von St. Gallen und das Waltharilied
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altdeutsches Gedicht oder eine Prosaerzühlung (woran man ebenfalls ohne triftige Gründe gedacht hat) bei seiner Arbeit benutzt und ins Lateinische übertragen, was in aller Welt Hütte ihn veranlassen sollen, Motive zu streichen und neue herbeizuziehn, bald uach diesem, bald nach jenem Modell — in der Gegenwart wie in der Vergangenheit — Nmschnn zu halten, kurz anstatt des echten ein verfälschtes Bild von der Zeit der Völkerwanderung zu geben? Natürlich, die Grundlinien waren ihm vorgezeichnet, ans der Luft kann er den Grundstock der Dichtung uicht gegriffen haben. Hat Ekkehard auch kein Gedicht gekannt, das die Walthersage behandelte, so ist ihm, sei es in St. Gallen oder schon auf dem heimatlichen Gute, die Sage mutmaßlich durch die Erzählung eines Klosterbruders oder wandernder Spiclleute bekannt geworden.
Wie dem aber auch sei, jedenfalls haben wir jetzt Grund zu der Behauptung, daß Ekkehard den alten Stoff neu belebt, geordnet uud unter Benutzung dichterischer Vorbilder frei gestaltet und die einzelnen Szenen selbständig ausgeführt hat. Das ist die Ansicht, die neuerdings wieder einer der ältesten und bewährtesten Forscher auf diesem Gebiete vertreten hat. Unterstützt wird diese Hypothese durch die erst neulich aufgestellte, nicht unbegründete Vermutung, auch die Namen der Kämpfer am Wasgenstein seien uicht sagenecht, sondern erst von Ekkehard erfunden worden. Dann trifft freilich der von W. Hertz herrührende Vergleich des Walthariliedes mit einem Germanen ans der Zeit der Völkerwanderung, der mit römischen Beutestücken behängen ist, nicht mehr zu: es gleicht eher einem Deutschen aus Ekkehards Zeit, der römischen Panzer und Waffeuschmuck augelegt hat, und während er öffentlich am Tage zum Christengott betet, des Nachts heimlich unter der Eiche Donars das Noßopfer schlachtet.
Und so erscheint denn auch die Frage uach dem Schauplatz der Kämpfe iu neuer Beleuchtung. Diesen Platz hat Jakob Grimm auf dem Dvnnou gesucht, einer mehr als tcmseud Meter hohen Felsenkuppe, die in der Nähe der Eisenwerke von Framont nicht weit von dem Städtchen Schirmeck auf der Grenze vom Elsaß und von Lothringen an einem Seitental der Breusch liegt. Aber längst hat man erkannt, daß dies ein Irrtum ist. Dann hat man bekanntlich an den Felsen gedacht, der an der von Weißenburg nach Bitsch führenden Straße am Fuße des Maimont iu der Nähe des Dorfes Obersteinbach liegt. Das ist der im Mittelalter vou einer Burg gekrönte Wasichcnstein oder Wasgenstein, auch Wassenstein, wo das Geschlecht der Wasichensteiner hauste, das sich später in zwei Linien spaltete und am Ende des Mittelalters ausstnrb. Die Örtlichkeit ist von A. Becker in Westermanns Monatsheften (1885) anschaulich geschildert worden. Aber auch Scheffel hat den Wasgenstein in ein paar schönen Versen kurz also gezeichnet:
Ein Pfad biegt von des Maimont Gipfeln
In ein elsässisch Waldtal ein,
Und braunrot starrt aus grünen Wipfeln
Der Doppelklotz des Wasgenstein.
Wie ein vermoostes Waldgeheimnis
Ruht das geborstne Niesenyaus
In Schutt und schweigendein Vertrnumms
Von dunkler Vorzeit Rätseln aus.