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Ekkehard der Erste von St. Gallen und das Waltharilied
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278 Ekkehard der Erste von St. Gallen und das waltharilied

vollem Bewußtsein getan haben, was wir unwillkürlich und gleichsam mechanisch tun. Und zumal wer es unternimmt, sich in einem fremden Idiom, sei es in gebundner oder ungebundner Rede, auszudrücken, wird zunächst Ekkehards Methode in größerm oder geringerm Umfang befolgen.

Aber nicht nur als Zr-iäus g.c1 ?lirnÄ88uin hat Ekkehard deu Virgil be­nutzt, er hat ihm auch Einfluß auf die Behandlung der Sachen eingeräumt. Wenn z. B. Wnlthcr iu dem Augenblick, wo er sich zum Auszüge rüstet, Panzer und Beinschienen anlegt, den Helm mit dem rötlichen Bnsch anf das Hanpt setzt, Schild und Lanze zur Hand nimmt und sich mit dem zwei­schneidigen Schwert gürtet, so gleicht er durchaus einem der Virgilischen Helden und keineswegs einein Necken aus der Zeit der Völkerwanderung, wie denn überhaupt die Waffen der in unserm Gedicht auftretenden Helden meist unter dem Zeichen des römischen Mnsters stehn. Noch mehr: man kann nicht ver­kennen, daß Ekkehard wesentliche Motive der Handlung aus dem Virgil ent­lehnt hat, was namentlich bei den Einzelkämpfen am Wasgenstein hervortritt. Wer das Gedicht kennt, erinnert sich leicht, wie Walther Hagens Schwester­sohn Patafrid, als dieser zum ungleichen Kampfe heranstürmt, mit freundlichen Worten zuredet, er möge vom Kampfe ablassen und nicht in blindem Ver­trauen auf seine Kraft sein Leben cinfs Spiel setzen. In ähnlicher Weise mahnt Äneas in dem Virgilischen Gedichte den Lciusus, er möge nicht ein Wagnis unternehmen, das über seine Kräfte gehe und ihn in den Tod treiben werde. Und in die Patnfridepisode ist auch eine längere lehrhafte, fast im Ton einer Predigt gehaltne Betrachtung über die Verderblichkeit der Habsucht eiugeschoben, die man früher mit übel angebrachtem Spürsinn für eine An­spielung auf den Fluch des Nibelnugengoldes gehalten hat, während sie in Wahrheit nicht andres ist als eine Variation zu dem allbekannten Virgilischen Thema: ^uri saora taine-s, c^uiä non rrwrtg-lig, oog'is psotoiÄ? u. s. f.

Andrerseits kann man Ekkehards völlige Selbständigkeit mehrfach er­kennen. Gleich am Anfang des Gedichts wird Hagen als Sprosse eines trojanischen Geschlechts bezeichnet, eine Anschauung, die erst unter dem Einfluß der lateinischen Bildung entsteh» konnte, und ebensowenig beruht es auf alter Sage, wenn wir in unserm Gedicht die Franken in Wvrms am Rhein, die Burgunden in Frankreich finden. Bekanntlich saßen zu Attilas Zeit die Burguuden noch am Rhein, was im Nibelungenliede noch festgehalten wird. Die große Reiterschlacht, in der Walther vor seiner Flucht Attilas Feinde bezwingt, ist ebensowenig sagenecht; sie ist augenscheinlich gedichtet worden unter dem Eindruck der Ungarn eiufalle, von denen damals überall die Rede war. Auch bei dein Gastmahl und bei dein Trinkgelage, bei dem Walther den Wirt macht, werden Bildung und Sitte des zehnten Jahrhunderts geübt; mit Unrecht hat man auf die Schilderung eines Gastmahls an Attilas Hofe, die man bei dem Byzantiner Priscus findet, verwiesen. Wenn das richtig ist, was folgt daraus? Sicherlich doch, daß wer solche Szenen cutwcrfeu konnte, auch imstande war, die andern Partien des Gedichts selbständig zu entwerfen und auszuführen. Und wer das zugibt, wird auch gegeu die Annahme nichts einwenden können, daß wir in Ekkehard trotz seiner Jugend deu eigcutlichen Schöpfer und Dichter des Walthariliedes bewundern müssen. Hätte er ein