228 Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
unter diesen in der Regel wieder nur die begreift, die über das gewöhnliche Alter hinaus unverehelicht geblieben sind,
3. Privatrecht (Fortsetzung: Sachenrecht; Recht der Schuldverhältnisse)
Im Gebiete des altdeutschen Sachenrechts sind die Vorgänge beim Erwerbe von Besitz und Eigentum ganz besonders durch eine reiche Nechtssymbolik ausgezeichnet, womit die zahlreichen Beziehungen, die unsre Sprache gerade zu diesen Rechtsakten noch aufzuweisen hat, in genauer Wechselwirkung stehn. Schon die Worte „Besitz," „besitzen" und „Besitzer" gehn auf eine reale Tätigkeit zurück, die uns in den Zeitwörtern „sitzen" und „setzen" auch in der Gegenwart geläufig ist, „Besitzen" heißt demnach wörtlich: das Eigentumsrecht dadurch bekunden, daß man sich auf etwas setzt, z. B, auf einen (dreibeinigen) Stuhl — als das Sinnbild der Macht (vgl, Kaiser-, Königs-, Richterstnhl usw,). Daher stammt denn auch das pleonastische „sich in den Besitz setzen," wofür wir als ungefähr gleichbedeutend auch die kürzern Wendungen „in Besitz treten," den „Besitz antreten" oder „Besitz ergreifen" gebrauchen können, die auf ein ebenfalls einst wirklich vorgenommnes Betreten oder Anfassen des zu erwerbenden Gegenstandes zurückgehn (ähnlich auch „die Hand ans und an etwas legen"). Ferner kann man sich auch heute nicht nur für sein gutes Geld gar mancherlei „erstehn" (durch Kauf), sondern sogar nach dem geltenden Recht einen Gegenstand infolge des Ablaufs einer bestimmten Zeitfrist „ersitzen." Wahrend jetzt übrigens das Bürgerliche Gesetzbuch jemand eine „bewegliche Sache" zu Eigentum durch „Ersitzung" zuspricht, wenn er sie zehn Jahre lang ungestört „im Eigcnbesitz" hatte, kannte das ältere deutsche Privatrecht eine ähnliche Art des Eigentumserwerbs, zunächst an liegendem Gut, iu der sogenannten „rechten Gewere," die an den unangefochtnen Besitz von „Jahr und Tag" geknüpft war. Darauf beziehn sich die Rechtssprichwörter „Jahr und Tag ist die rechte Gewere" oder „Jahr und Tag soll ewig gelten," d. h. den Besitzer vor jeder Klage schlitzen. In der Regel verstand man übrigens unter dieser Fristbestimmung nicht sowohl dem Wortlaute gemäß genau ein Jahr und einen Tag, sondern die Zeitdauer von einem Jahre, sechs Wochen und drei Tagen (f. z. B, Snchsensp, I, Art, 28), was sich aus Besonderheiten in der Berechnung der altdeutschen Genchtstermine erklärt. Während nun heute die Formel als juristischer Kunstausdruck schon seit längerer Zeit verloren gegangen ist, lebt auch sie noch weiter in der täglichen Umgangssprache, die jedoch damit jetzt nur die Vorstellung eines langen, aber nicht zahlenmäßig begrenzten Zeitraums verbindet, sodaß man etwa bei dein Wicdererscheinen eines lange für verschvllen Gehaltenen zu sagen pflegt, er sei aus der Fremde „nach Jahr und Tag" wieder in seine Heimat zurückgekehrt (so auch in der Literatur, namentlich in den Märchen beliebt).
Auch an die ehemals bei der Entziehung von Besitz und Eigentum geübten symbolischen Handlungen hat unsre Sprache Anklänge bewahrt. Denn nicht nur ist uns die „Entsetzung" oder „Absetzung" für den Verlust eines Besitztums verständlich geblieben (geläufiger allerdings bei „Amtsentsetzung," entsprechend der „Einsetzung" in ein Amt und dein „Besetzen" einer Amtsstelle), sondern wir können auch heute noch jemand, der uns in zudringlicher Weise belästigt, „den Stuhl vor die Tür setzen," wie das einst als symbolische Darstellung der Ausweisung aus dem Besitze wirklich vorgenommen wurde — ein Seitenstück zu dem namentlich im Kanzleideutsch noch sehr beliebten „anheimstellen" (oder „anheimgeben"), das wohl aus dem feierlichen Stellen eines Gegenstandes (als Wahrzeichen) in eines andern „Heim" oder Haus entstanden ist. Auf die Symbolik der altgermanischen Besitz-Übergabe oder „Abtretung" (Tradition) ist wohl am besten auch die bildliche Phrase vvn den Leuten zurückzuführen, die in ihrem Leben „nicht auf einen grünen Zweig kommen," d. h, niemals etwas