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Maßgebliches und Unmaßgebliches
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sowenig hat sich die demokratische Tyraunis Napoleons des Dritten zn behaupten vermocht; beide Gewaltherrschaften gingen rnhmlvs zn Grnnde, als der Erfolg gegen sie schlug, nnd seitdem behilft sich Frankreich mit einer sich mehr nnd mehr demo­kratisierenden Verlegenheitsrepnblik. Eine festere Grundlage hat doch das italienische Königtum, das zwar in, größten Teile der Halbinsel auch auf Volksabstimmung gegründet ist, aber doch an sich auf erblichem Rechte bernht nnd von der Einheit und Unabhängigkeit der Nation nicht getrennt werden kann.

Wesentlich davon verschieden sind die Versuche des neunzehnten Jahrhunderts, auf dem Boden abgelöster christlicher Provinzen der europäischen Türkei nene Monarchien und neue Dynastien zu pflanzen. Das ist in Griechenland, in Bul­garien, in Rumänien gelungen, aber in diesen beiden Ländern nicht ohne schwere Erschütterungen. In Griechenland wechselte das Herrscherhaus durch die Revolution von 18V3, und erst die junge dänische Dynastie scheint mit dem Volke fester zu verwachse», seitdem sie sich den nationalhellenischen Bestrebungen bis zn einem ge­wissen Grade zur Verfügung gestellt und bedeutende Erfolge in dieser Richtung errungen hat. In Bulgarien mußte Alexander von Battenberg, obwohl er rasch zum nationalen Helden geworden war, schon 188V der Brutalität Rußlands weichen, und ob die Geschmeidigkeit seines Koburgische» Nachfolgers ausreichen wird, den jungen Throu zu befestige», steht dahin. Nur in Rumänien haben die Weisheit uud die Kraft des Hohenzollcrn Karl alle Erschütterungen zn vermeiden und eine stätige Entwicklung zu sichern vermocht, deren glorreiche Erinnernngen Fürst und Volk fester verbiudeu als irgendwo fönst auf der Balknnhalbinsel. Zngute kam hier der uenen Orduuug auch die Existenz einer starken gruudbesitzeudeu, also au der Auf­rechterhaltung der Staatsordnung besonders interessierten Aristokratie. Daß eine solche überall sonst ans der Balkauhalbiusel außer in Bosnien fehlt, war eine weitere Schwierigkeit für diese jungen Staaten, und überall ist das Einwurzeln der ucueu fremden Dynastien besonders dadurch erschwert worden, daß sie eben vom Volke berufen uud gemäß deu liberalen Vorurteilen des Jahrhunderts durch demokratische Verfassungen beschriiukt wurde», für die diese ebeu erst sich einer jahrhuuderte-- langen Willturherrschaft entwindenden Völker schlechterdings nicht reif waren. Die passendste Negieruugsform wäre ein straffer, aber wohlwollender und aufgeklärter Absolutismus gewesen, wie die Erfolge eiuer solchen Verwaltung in Bosnien be­weisen. Die Tradition vollends fehlte uud mußte fehlen; sie wurde nnr dadurch einigermaßen ersetzt, daß die Herrscher sie in sich selbst mitbrachten, daß sie au ihrem heimatlichen Hanse und nm gesamten europäischen Fürsteustaude, dem sie an­gehörten, einen festen Halt hatte», also sich auch mit einem gewissen Nimbus um­gaben, nnd daß sie jede Verflechtung ihrer Familie mit den Parteien ihres Landes vermieden, also die Stellung behaupteten, die allein dem Monarchen ziemt, die Stellung über deu Parteien. König Karl von Rumänien hat wohl gewußt, warum er seinem Neffen und Thronfolger, dem Prinzen Ferdinand, die Genehmigung zur Vermählung mit eiuer Bvjareutochter versagte.

In dem Bauerulande Serbien allein sind alle diese Bedingungen für die Be­festigung einer neuen Monarchie nicht vorhanden gewesen, uud darum ist dieses Lnud, obwvhl es früher als alle andern Balknnstanten seine Befreinng von der Türkenherrschaft errnngen hatte, seit einem Jahrhundert ans wütenden Partei- kauipfen und blutigen Gewalttaten nicht herausgekommen.

So ist die Katastrophe iu der Nacht des 10. Juui nicht unvorbereitet ge­kommen, und sie ist ganz in dem Charakter der neuern serbischen Geschichte, eine Wiederholung der Gewalttaten von 1817. 1842, 1858 und 1868. aber in ihrer Ent­setzlichkeit ohne Beispiel im modernen Europa. Die einzige Blnttat des letzten Jahr­hunderts, die ihr einigermaßen an die Seite gestellt werden kann, ist die Ermor­dung Kaiser Pauls des Ersten von Rußland am 23. März 1801, aber Rußland gehörte damals noch weniger zu Europa als heute, und die Mörder begnügten sich mit einem Opfer, mit dem Tode eines halb unzurechnungsfähigen Autokraten,