Uimstbetrachtungen
Versbau, aber nicht darüber, was der Dichter sageil walle, eine Wissenschaft von abstrakten Linien und Flächen, aber nicht van Michelangelos Gestalten usw. „Es ist ja keine Dichtung und kein Kunstwerk in der Absicht geschaffen, bloß im allgemeinen das Schöne zn realisieren."
Der spekulativen Ästhetik ist Karl Lange ebenso abgeneigt wie sein Brnder, er gibt eine sensualistische Kuustlehre, d. h. eine Analyse des Kunstgenusses auf physiologischer Grundlage in einem feingeschriebnen Buche von nur hundert Seiten: „Sinnesgenuß und Kunstgennß," herausgegeben von Hans Kurella (Wiesbaden, Bergmanu). Den ersten Abschnitt, der von dem körperlichen Vorgang bei dem Zustandekommen eines Genusses überhaupt handelt, von der Aufnahme der Eindrücke durch die Sinne und ihrer Weiterleituug durch die Nerveu zu den Blutgefäßen, der „vasomotorischen Jnnervation," übergehu wir und bemerken nnr, daß dies alles, so abstoßend fachmäßig es sich in der kurzen Rubrizierung ausnimmt, in höchster Klarheit und sogar auf eine vollkommen unterhaltende Weise vorgetragen ist. Der zweite Abschnitt behandelt die Kunst. Ein Kunstwerk ist nach Lange jedes Mcnschcnwcrk, das seinen Ursprung hat in dem bewußten Bestreben, einen geistigen Genuß durch die höhern Sinne (Auge und Ohr) hervorzubringen. Die Wirknng erfolgt durch drei „generelle Mittel": Abwechslung, Einwirkung sympathischer Gefühle, Bewunderung. Das Mitgefühl wirkt hauptsächlich in dem naiven Menschen, der Kenner bewundert die Schwierigkeit der Ausführung, d. h. das Künstlerische, und was die Abwechslung für die Genußfähigkeit bedeutet, leuchtet ohne weiteres ein; ihre logische Koordinierung in der Dreiteilung wollen wir nnf sich bernhn lassen. Der Verfasser bemerkt dazu nm Schluß seines Buches, Abwechslung nnd Sympathie seien die eigentlichen, planmäßig angewandten nnd gepflegten Kunst- mittel, wogegen die Bewnndcrung ein besondrer Zustand des Genusses selbst sei, hcrvorgcrufeu durch das Gefühl, vor überwnndnen Schwierigkeiten zu stehu, im voraus nicht so sicher zn berechnen, weil dabei zuviel auf den Genießenden und die Art seiner Bildung ankomme, aber darum doch eminent wichtig für die Knust, weil ganze Richtungen uud Arten gar keinen Genuß hervorrufen, also gar nicht als Kunst gelten könnten, wenn sie nicht Bewunderung erregende Eigenschaften hätten (I'-^rt xour 1'a,rt). Die Nebeneincmder- stellung dreier so heterogener Dinge sei irrationell, aber die Menschen hätten sie nun einmal instinktiv angewandt, nm Werke hervorzubringen, die nicht nnf Grund einer Wcscnseinhcit, sondern wegen ihrer gleichen Wirknng nnter einer Bezeichnung zusammengefaßt und Kunst genannt würden. Dieser Begriff selbst sei also ebenso irrationell. Seine durch rein empirische Analyse gefundne Definition der Kunst sei nüchtern, aber branchbar, höchstens zu eng, insofern als es noch mehr allgemeine Knnstmittel als die von ihm gefundnen drei geben könne, und seine Art zu suchen den Anschauungskreis vielleicht eingeengt habe. Mit andern Worten, es kommt ihm mehr auf das Beobachtete als auf die schulmäßige Klassifizierung an, und das ist genau unser eigner Standpunkt.
Man könnte meinen, er hätte ein wichtiges Kunstmittel vergessen, wovon doch heute soviel Wesens gemacht wird, nämlich die Illusion. Aber hören wir ihn selbst: „Zu den wirksamsten Kunstmitteln rechnet man vielfach den