parlamentarische Gxperimentaljurisprndenz
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gewesen sein. Darum wurde, als Ende des Jahres 1900 die Reichsregicrung dein Reichstag den Entwurf zu einem Neichsgesetz über das Verlagsrecht vorlegte, mehrfach die Notwendigkeit einer solchen Regelung bestritten; man wies darauf hin, daß bisher nur iu Preuße», Baden und Sachsen das Verlagsrecht gesetzlich geregelt sei, wahrend man in allen andern deutschen Staaten ohne gesetzliche Bestimmungen ausgekommen wäre, weil ähnlich wie das Rechtsverhältnis der Verleger zu dcu Sortimentsbuchhändlcrn so auch zu den Schriftstellern durch ein ganz feststehendes Herkommen geregelt sei, und daß der bestehende Nechtszustand durchaus befriedige; man wies weiter darauf hiu, daß die ueueu Borschriften praktisch ebensowenig Bedeutung erlaugen würden wie die veralteten und dürftigen Vorschriften des preußischen, des badischen und des sächsischen Verlagsrechts. Die so sagten, hatten Recht, aber die anders dachten, hatten auch Recht; dcuu eiue neue rcichsgerichtliche Regelung des Urheberrechts — also des Rechts am „geistige,: Eigentum" — war, da das Reichsgesetz vom 10. Juni 1870 vielfach abünderungsbedürftig war, notwendig geworden, und es lag nahe, daß mit diesem zugleich die wichtigste Fvrm der Übertragung des Urheberrechts, also das Verlagsrecht einheitlich geregelt werde. Der Gesetzentwurf, den das Reichsjustizamt über das Verlagsrecht vorlegte, und seine °,Begrnnduug" waren wieder Meisterwerke in jeder — nicht etwa bloß in rechtswissenschaftlicher — Bcziehuug; jede vorgeschlagne Bestimmung war eingehend unter Berücksichtigung von Nechtslehre und Rechtsprechung sowie der ausländischen Gesctzgebuug, unter gerechter Abwägung der Interessen der Schriftsteller und der Verleger und vor allem unter besondrer Würdigung aller von Schriftsteller- und Buchhündlerverbänden geäußerten Ansichten und Wünsche begründet. Und da es, wie erwähnt worden ist, vorauszusehen war, daß den neuen Bestimmungen eiue große praktische Bedeutung nicht zukommen werde, so konnte man erwarten, daß die Reichstagskommission, an die dieser Entwurf gewiesen wurde, ihu ohue große Anstünde annehmen werde. Aber auch hier äußerte die parlamentarische Experimcntaljurisprudeuz ihre Wirkung: überall wurdeu Vorschläge gemacht, an dieser oder jener Bestimmung etwas zu ändern, hier die Ausnahmen, die der Entwnrf von eiuem seiner Grundsätze zuläßt, noch nm eine zu vermehren, dort eine Grundanschauung des Entwurfs in ihr Gegenteil zu verkehren, hier eine Frist zn kürzen, dort eine zn verlängern; Vorschlüge und Wünsche beteiligter Kreise, die die Begründung znm Entwurf auf Grund eingehender Würdigung als unannehmbar erwiesen hatte, wurdeu in der Kommission wieder hervorgezerrt und mit den zehnmal widerlegten fadenscheinigen Gründen verteidigt. Besonders bezeichnend für die parlamentarische Experimentaljurisprudenz sind die Erörterungen über eine Bestimmung des Entwurfs, die wohl die unnötigste von allen war: der Verlagsvertrag verpflichtet den Verfasser, das Werk dem Verleger zur Vervielfältigung und Verbreitung zu überlassen, und den Verleger, es zu vervielfältigen und zu verbreiten. Diese dem Verleger obliegende Lcistnng wird "der wohl niemals durch seine alleinige Tätigkeit ausgeführt werden können; er erfüllt sie vielmehr dnrch Buchdrucker, Kommissionäre, Sortimcutsbnchhündler und ciuch durch andre Gehilfen und Vertreter. Erfolgt somit die Erfüllung
Grenzboten II 1903