Contribution 
Der Protestantismus in Italien
Page
569
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

569

schaue ich bequem das Publikum. Es besteht fast ausschließlich aus Geistlichen aller Arten und Grade, aus weiblichen Mitgliedern der römischen Aristokratie und andern Damen der klerikalen Gesellschaft. Mir gegenüber sitzt ein reizendes junges Mädchen, ganz in blau gekleidet, und unterhält sich lachend und feurigen Blicks mit einem jungen Priester. Als es sich beobachtet sieht, dämpft es die Stimme. Aus der vielfachen Begrüßung ergibt sich klar das nahe gesellschaft­liche Verhältnis zwischen den vornehmen Damen und dem Klerus. Die Ge­sichter der meisten niedern Geistlichen und Mönche, unter denen es sehr viele Analphabeten gibt, sowie namentlich die der Vorstandsmitglieder der Preser- vazione tragen kein sonderlich geistiges Gepräge. Sehr verschieden davon ist der Gesichtsausdruck der Erzbischöfe und Kardinäle. Auffallend stark ist das englische Element unter ihnen vertreten. In violettem Mantel und Käppchen kommen die Erzbischöfe Stonor und O'Connel alt uns vorüber, und unter den Kardinälen gewahrt man Gibbons. Diese Teilnahme erklärt sich aus dem starken Anteil, den die Englander und Amerikaner an der Propaganda nehmen.

In der Rede Paroechis wird das lebhafteste Mißfallen darüber ausgesprochen, daß die evangelischenSekten" Roms mit englischem Gelde arbeiteten. Aber auch die klerikale Propaganda bedient sich in Rom geradezu vorwiegend des englischen Geldes. Ja die größten Propagandainstitute, wie die von mehr als 100 Schülern besuchte Handels- und Sprnchcnschnle auf der Via Napoli, eine ähnliche von mehr als 600 Schülern besnchte Anstalt in der Via dell' Umiltä, eine weibliche Abendschule mit 320 Zöglingen ans der Via Nazionale sowie eine Mädchenpension auf der Via Venti Settembre, Institute, die fast die Hälfte aller von der Preservazione umfaßten Kinder enthalten, leben ausschließlich von englischem Gelde und stehn auch unter englischer Leitung, bevorzugen die eng­lische Sprache, sodaß man sie eher für ein Mittel der englischen als der kleri­kalen Propaganda halten könnte. Nach und nach haben sich gegen zwei Dutzend Kardinäle eingefunden; so viele hat man nicht oft Gelegenheit, berem- ander zu sehen. In ihren Purpurgewändern nehmen sie die ersten Sesselrechen ein. Mit ein oder zwei Ausnahmen wohlgenährte Gestalten, manche recht weltmännisch in ihren Manieren, liebenswürdig fein, als hätten sie sich ans Winckelmanns Zeitalter konserviert, Kunstfreunde und hochgebildete Leute, die in den Prunksälen ihrer Paläste wohl auch heute noch dem edeln Schachspiel imt einer schönen Partnerin nicht abhold sind. Andre schreiten stolz und voll Herrengefühl daher. In ihrem Herzen spinnt sich der Traum weltlicher Macht s°rt, sie empfinden auch in kleiner Sphäre noch die Wollnft des Herrschens. Zu ihnen gehört vor allen Rampolla, der schon aus seinem sizilicmischen Ma- gnatentum die Kunst, Herr zu sein, schöpfen kann. Wer die Kardinäle, darunter die meisten Papabili, d. h. solche, die als Kandidaten für die nächste Papstwahl i" Betracht kommen, an sich vorbei defilieren sieht, der muß die Empfindung haben, daß vielleicht nur Rampolla das Erbe der Tiara anzutreten berufen ist. Abgesehen von Vannutelli überragt er schon leiblich alle übrigen Mitglieder des Sacro Collegio. aber wuchtiger als seine Körpergröße wirken sein von ungeheuerm Selbstgefühl durchtränktes Gebaren und das Gebieterische seiner ernsten, fana- t'schm, ein wenig düstern Züge. Dem Vortrage Paroechis ging die Verlesung