Der Protestantismus in Italien
Von wolfgang <L. Ludwig Stein in Roin
>enn man sich MI Se»mes Spaziergang nach Syrakus erinnert und an die sonderbare Meinung, die man damals svgar in gebildeten italienischen Kreisen vom Protestantismus hatte, den man einfach für ein Werk des Teufels hielt, so hat man gewiß Ur- ! sache, über die Veränderung im kirchlichen Leben der von Seume durchwanderten und kulturgeschichtlich so interessant beschriebnen Apenninhalbinsel erstaunt zu sein. Zwar gab es auch zu Seumes Zeit schon evangelische Gemeinden iu Italien, die ältesten der Welt sogar. In Rom und auch anderswo wußte man allerdings nichts von ihnen, aber schon vor dem Erlaß der albertinischen Verfassung war das Waldensertum in der Hauptstadt Piemvnts eine Macht geworden, die man nicht mehr übersehen konnte, und nach 1848 verbreitete es sich mit wahrer Sturmeseile über Piemont, Ligurie» und Tvslana, später auch über den Rest Italiens, wo jedoch überall schon feste Punkte vorhanden waren, sodaß sich das Nene gewissermaßen nur um das mehr oder minder verborgne Alte zu kristallisiereil brauchte. Das Waldensertnm ist recht eigentlich die ein- geborne evangelische Kirche Italiens. Daneben traten aber bald zahlreiche andre Gemeinschaften auf, die sich ihr Terrain erst erobern mußten, also auf den Kampf mit der römischen Papstkirche angewiesen waren und iu eben diesem Kampfe sich dann die ihnen eigentümliche Meisterschaft der Propaganda erwarben. Die Verschiedenartigkeit der Namen, die nur zu sehr geeignet ist, den Unknu- digen über das Gemeinsame des innern Wesens und mehr oder minder sogar der gottesdienstlichen Gebräuche hinwegzutäuschen, ist zweifellos ein Hindernis für die noch schnellere Ausbreituug des evangelischen Christentums in Italien. Besonders im vergangnen Jahrzehnt hat die evangelische Propaganda und zwar wiederum hauptsächlich in Rom einen Umfang angenommen, von dem man sich mir schwer eine Vorstellung macht, und zwar liegt das Evangelisationswerk hier vorwiegend in den Händen der Methodisten und Baptisten, Gemeinden, die reich mit ausländischem, namentlich amerikanischem Geld ausgestattet sind. An der Akademie des Methodistenhanses absolvieren auch Angehörige der Wes- leyanischen Kirche, der VKiesa lid<M usw. ihre theologischen Studie». Infolge der antipapistischen Strömung haben sich alle evangelischeu Gemeinde» Roms
Gvenzboten II 1903 74