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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben : dritte Reihe : 11. Der Mutterwitz
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Ich möchte zum Beispiel gern wissen, warum die Erde nicht runterfällt, und warum die Männer Bärte haben und die Frauen nicht. Aber niemand sagt es einem. Hierauf vertiefte sich Suse wieder in ihr Geschichtsbuch. Suse! sagte nach einer Weile Muni. Was ist denn schon wieder los? erwiderte diese.

Heute kriegen wir einen neuen Literaturlehrer. c--- <

Was wirds denn auch seiu? Wieder so ein alter Schwede, dem die Tabaks­krümel im Barte hängen. Pfui Kuckuck!

Gott bewähre. Es ist ein Doktor Schneidewind. Mary sagt, er wäre himmlisch Mary findet alles himmlisch. Nun aber bitte ich dich dringend, störe nnch "icht, sonst falle ich bei Fräulein Klops in Ungnade.

Aber das nützte nun nichts mehr. Die Wagen rumpelten schon über die Weichen des Maßeuburger Bahnhofs, und bald hielt der Zug in der Halle, die voll Dampf war.

Maßenburg, alles aussteigen! .

Die kleine Gesellschaft, besonders die Kinder, deren Schulen in der Unterstadt lagen, liefen im Trabe davon; die höhern Töchter setzten sich in Promenadenschritt und nahmen mit gehobner Nase die Grüße der Herren Gymnasiasten entgegen

In der Sophienschule herrschte nicht geringe Aufreguug. Aus der ersten Klasse erklang ungewöhnlicher Lärm, da alle Mädchen in erregten Worten Sicher Zeit fprachen. und die Aufregung dauerte noch fort, auch nachdem Herr Professor Kaulbarsch seinen Religionsunterricht begonnen hatte. Auf der ersten Bank, wo die Paula Kuiebitz und die Hanne Mcmmleben nnd andre Lämmer saßen, mertte man ans und gab Antwort; aber auf deu hintern Bänken stieß man sich an. steckte die Köpfe zusammen, und Mary Tröudler hatte auf ein weißes Blatt ihres Diariums ei" Bild von Doktor Schneidewind gezeichnet, ein Menschenkind von idealer Schön­heit, der reine Lohengrin. Das Bnch zirkulierte und erregte, wo es hinkam, solche Sensation, daß der alte gute Professor vou seinem Bnche aufsah, die Brille an die Auge» drückte, mit dem Finger auf das Katheder tippte nnd sich streng rausperte.

Ju der Zwischenstunde' strich man sich die Haare glatt nnd die Knche aus den Kleider». Das Katheder wurde sorgfältig abgestäubt, und der Tom Rranzier wurde eröffnet, wenn sie sich einfallen lasse, sich wieder rüpelhaft zu betragen. ,o werde man ihr nie wieder Bonbons geben, sondern ihr Pech in die Zopfe >ch""erem Man habe keine Lust, sich vor Herrn Doktor Schneidewind zu blamieren. >Uie Toni versprach ihr möglichstes. ^ ^ - ..5>

Da tat sich die Tür auf. uud der gestrenge Herr Direktor trat herein und hinter ihm - den Mädchen stockte der Odem - Herr Doktor Schneidewind. - Bildschön! sagte weltvergessen Mimi zu ihrer Nachbarin ^n der ^ °e, neue Literaturlehrer übertraf alle Erwartungen. Ein schöner Mann, vrauner Vollbart, feurige Augen, schwarzer Gehrock. Zylinder und Handschuhe Daß em Lehrer mit Handschuhe» in die erste Klasse getreten wäre, war etwas Unerhört Nun hielt der Herr Direktor eine Ansprache an die Schülerinnen, ans die ftemcy keins der Mädchen achtete. Aller Augen und Sinne waren ans den Herrn ^onor gerichtet. Hierauf machte der Herr Doktor den jungen Damen eme regelrecy e Verbeugung, schritt mit dem schönen Anstande des ""gehenden Dozen en zum Katheder und hielt einen Vortrag, wie er im Wissenschaftlichen Klnb nuh schmier hätte gehalten werden können. Nur ab und zu richtete er eme ^gemeine Hrage über selbstverständliche Dinge an seine Zuhörerschaft, indem er den Damen fre teure zu antworten oder zu schweigen. Die Stnnde verging un Nuge. nnd als ncy oie Tür hinter den. Doktor schloß, herrschte atemlose Stille. Die Mädchen saw da mit glänzenden Angen und roten Wangen, nnd jede war bereit jeder 'Z Ge ht zu fahren, die es wagen würde, an Doktor Schneidewind irgend c.ne Ansstellnng zu machen. ^ ^. ^ >. <

Was weiter an diesem Vormittage geschah, konnte keinen Emdrnck mehr Grenzboten II 1903