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Daß diese Lage die heutige preußisch-deutsche Kircheupolitit aufs äußerste erschwert, das sollte ohue weiteres klar sein. Gewalten stchu hier einander gegenüber, die prinzipiell einander ausschließen, hier der moderne Staat, der keine Souveränität neben der seinigen anerkennen kann, nnd die Regierung eines protestantischen Staatsoberhaupts, das sich von der römischen Kirche innerlich und persönlich frei fühlt, ihren Anspruch als die alleinseligmachende zurückweist, dort das Papsttum nicht nur mit diesem Anspruch, sondern auch mit der Forderung, in absoluter Freiheit vom Staate, das heißt souverän die kirchlichen Verhältnisse selbständig zu ordnen. Zwischen diesen Prinzipien gibt es keine Versöhnung. Der moderne Staat kann sich wohl gefallen lassen, daß die römische Kirche auf der Unterordnung der Laien unter den Klerus als die Gemeinschaft der Wissenden und der Geweihten beruht, so unbequem ihm diese Hierarchie sein mag, denn das ist eine innerkirchliche Sache, aber von dein Rechte, diese mächtige Organisation, die auf seine ihr angehörenden Untertanen den stärksten Einslnß ausübt, unter Umstünden ihr ganzes Fühlen und Denken richtet, zu beaufsichtigen und nötigenfalls zu beschränken, kann der Staat niemals lassen, nnd die Kirche wird ihm grundsätzlich dieses Recht, das ihre Freiheit einschränkt, niemals zugestehn. Dazu kommt in Deutschland als eine Frucht des Kulturkampfes die parlamentarische Machtstellung des Zentrums, und ohne das Zentrum ist im Reichstag eine Mehrheit nicht möglich, kann die Neichsregierung also nicht regieren, während die preußische Regierung im Abgeordnetenhause davon nicht abhängig ist. Nicht also die besondern preußischen Verhältnisse bestimmen ihre Kirchenpolitik, sondern die Rücksicht auf die deutschen. Ein autonomes Preußen könnte unter Umständen römischen Ansprüchen energischer begegnen als das Preußen, das au der Spitze des Reichs steht, beiläufig eine lehrreiche Betrachtung für die Partilularisten in Bayern und anderswo, die zuweilen über preußische Herrschsucht jammern und gar nicht sehen, daß Prenßen mit der Gründung des Reichs einen Teil seiner an sich völlig haltbaren Selbständigkeit aufgegeben hat um der andern Deutscheu, um Deutschlands willen, das ohne Preußen nicht bestehn könnte.
In dieser schwierigen Lage, die Graf Bülow nicht gemacht, sondern vorgefunden hat, ist nur ein inoüus vivsnäi zwischen Staat nnd Kirche möglich, eine Verständigung von Fall zn Fall, andrerseits ist eine feste Wahrung der Staatshoheit, wo sie verletzt wird, nötig. Dazu ist der richtige Weg die unmittelbare Verhandlung mit Rom, wie sie Fürst Bismarck mit der Einrichtung der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan wieder ermöglicht und auch bei der Beendignng des Kulturkampfes mit Erfolg geführt hat, und wie jetzt Graf Bülow den Rückzug des Bischofs von Trier kurzerhand durch direkte Verständigung mit Rom erreicht hat, nicht durch unstatthafte Verhandlungen mit einem widerspenstigen Untertanen. Diese Beziehungen sind auch dem Zentrum gegenüber unentbehrlich, das an Macht noch gewinnen würde, wenn sie nicht bestünden, während es jetzt bei zu weitgehenden Ansprüchen riskieren muß, daß sich die Regierung über seinen Kopf weg mit Rom einigt und ihm dadurch den Rückhalt, den es nicht entbehren kann, entzieht. So hat auch Fürst Bismarck die militärische Septennatsvorlage im Mürz 1887 durchgesetzt.