Deutsch - preußische Kirck^enpolitik
!ie Iveit sind wir doch von der Stimmung entfernt, die aus den Worten Rankes in der Vorrede zur ersten Auflage seiner „Päpste" (von 1834) spricht: „Was ist es noch, das uns — den protestantischen Deutschen — die Geschichte der päpstlichen Gewalt ! wichtig machen kann? Nicht mehr ihr besondres Verhältnis zu uns, das ja keinen wesentlichen Einfluß mehr ausübt, noch auch Besorgnis irgendwelcher Art." Als er vierzig Jahre später, 1874, die sechste Auflage veranstaltete, mußte er gcstehn, „daß eine neue Epoche des Papsttums eingetreten ist." In der Tat eine der merkwürdigsten Erscheinnngen der Geschichte, diese uralte, übernationale, doch im wesentlichen geistige Macht, wie sie sich ans tiefem Fall, ans allgemeiner Geringschätzung, inmitten zu starkem Selbstbewußtsein aufsteigender Nationen wieder aufrichtet, mit Benutzung aller modernen Mittel die katholischen Völker ihrer straffen Herrschaft unterwirft, aller „Aufklärung" zum Trotz ihre mittelalterlichen Gedankenreihen den modernen Ideen schroff entgegensetzt und von allen Staaten als eine höchst wirksame Macht anerkannt wird. Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sind die kirchenpolitischen Fragen nicht mehr von der Tagesordnung verschwunden, am wenigsten in Deutschland, und wieder hat kein Land schwerer unter diesen Gegensätzen gelitten, als Deutschland im Kulturkampf. Seine Nachwirkungen beeinflussen noch heute die preußisch-deutsche Kirchenpolitik. Daß er ebenso unvermeidlich wie verhängnisvoll war, wird heute niemand mehr bestreiten, unvermeidlich, weil der preußische Staat zu den Grundlagen der Zeit vor 1840 notwendig zurückkehren mußte, wenn er nicht seine Souveränität der römischen Kirche gegenüber preisgeben wollte, verhängnisvoll, weil die Maigesetzgebung vou 1873 in den meisten Gesetzen nur vorübergehend anzuwendende Kampfmittel sah, sie deshalb weit über das eigeutliche Ziel hinaus schürfte, schwere geistliche Notstände heraufführte und deshalb, auch als sie diese vorgeschobnen Positionen anfgab, Verbitterung und Mißtrauen unter den katholischen Deutscheu zurückließ, die doch das Reich mit erstritten hatten. Nichts hat das Zusammenwachsen des Reichs so gehemmt als diese Empfindungen, die der Kulturkampf hervorrief, und sie sind noch heute nicht völlig überwunden.
Grenzboten II 1908 1