Schulreform und kein Lnde
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Nun versichern allerdings die Reformer, die neue Schule leiste genan dasselbe in den klassischen Sprachen wie das alte Gymnasium, habe also die Probe bestanden. Sehr wahrscheinlich ist das von vornherein nicht. Die Realgymnasialabiturienten, die an einem humanistischen Gymnasium ihre Ergänzungsprüfung in Latein nnd Griechisch machen wollen und doch schon tüchtig Latein getrieben haben, auch selbstverstäudlich immer begabte, strebsame Leute sind, kommen im Griechischen, auch wenn sie es schon vor ihrem Abgange von ihrer Schule betrieben haben, sehr selten über mittelmäßige Leistungen hinaus, nnd bei Seminaristen, die auch zuweilen die Sache versuchen, ' gelingt sie fast niemals, jedenfalls nur mit der schärfsten Anspannung, und auch dann mit sehr schwachen, kaum noch zulässigen Leistungen. Wenn nun aber auch das Frankfurter Reformgymnasinm einige Jahrgänge von Abiturienten entlassen hat, so ist das noch leine genügende Probe seiner Leistungsfähigkeit; von einer solchen wird erst dann die Rede sein können, wenn sich seine Abiturienten in den Staatsprüfungen bewährt haben werden. Außer dieser Anstalt giebt es noch heute nicht mehr als acht Reformgymnasicn in Preußen (in Schöneberg bei Berlin, Charlottenburg, Breslcm (2), Magdeburg, Nheydt, Hannover, Dauzig), die meist noch in der Entwicklung begriffen sind, also noch" gar keine Erfahrnngeu haben, gegenüber mehreren hundert Normal- ghmnasien, und diese schwachen Ansätze werden von manchem Reformer als der moderne Flügel des humanistischen Gymnasiums bezeichnet! So steht es thatsächlich mit der „Erprobung" des Reformlehrplnns. Und fchon lassen sich Stimmen hören, die auch seine Leistungen anzweifeln. In dem Gutachten eines dem Reformgymnasium sehr günstigen Berichterstatters wird ausdrücklich anerkannt, daß die Frankfurter Resultate im Lateinischen seinen Erwartungen nicht entsprochen hätten. Andrerseits ist es „ein offnes Geheimnis, daß die Abiturienten des Neformgymuasiums schließlich im Französischen nicht mehr leisten als °ie des Normalgymnasiums; was in den Unterklassen mehr gelernt wird, Seht in den mittlern und obern, wo die alten Sprachen mit einem so gewaltigen Hochdruck einsetzen, eben wieder verloren. Zum Teil geben die an Reformgy.nnasien unterrichtenden Lehrer diesen Übelstand selbst zn, klagen darüber, daß das mühsam nnd mit soviel Aufwand an Kraft aufgeführte Gebäude Kon IIIZ oder IIL an wieder zerfalle, und sprechen deshalb dem Reformgym- uasinm den Vorzug eiuer einheitlichen Organisation ab." Und wie steht es mit den Leistungen in der Mathematik?
Mau kann nun ruhig zugeben, daß auch die neue Schule unter günstigen Umständen, bei geringer Schülerzahl und sehr tüchtigen Lehrern, Gutes leisten kann; es führen viele Wege nach Rom, und weshalb soll man nicht einen neuen versuchen, wenn man sich davon besondre Vorteile verspricht? Aber nicht darum handelt es sich, ob einzelne Anstalten dieser Art gedeihn tonnen, sondern nach der Auffassung der Reformer soll vielmehr diese Form des humanistischen Gymnasiums zur herrschenden werden, also uuter allen Umständen und überall durchgeführt werden. Nach den bisherigen Erfahrungen müssen wir aber die Möglichkeit und die Zweckmäßigkeit einer allgemeinen Einführung be- streiten.