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Hellenentum und Christentum : 10. Schlußbetrachtung
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LMeuentum und Christentum 189

Leben wie im Tode, aber lebend habe sie, weil durch die irdische Form ge­bunden, noch nicht gcistzeugend wirken können. Geläuge die Rekonstruktion des historischen Jesus, und würde die Gestalt des Christentums danach be­stimmt, so wäre die Folge davon, daß wir entweder ein solches Christentum ganz ausgeben müßten, oder daß es, falls wir es annähmen, ähnlicher Er­starrung verfiele wie der Islam.

Wir lassen eine Meuge Fragen, zn denen diese Auffassung nötigt, dahin­gestellt sein, z. B. ob die Religion wirklich nur Mittel und Ausdruck der Er­lösung ist, und ob Religionen, die weiter nichts sind als Anbetung Gottes, den Namen Religion nicht verdienen? Ob die Unzähligen, die in der christ­lichen Religion, so wie sie sie kannten, volle Befriedigung gefunden haben, die der ein für allemal vollbrachten Erlösung gewiß waren nnd von einem unend­lichen Prozeß nichts wußten, keine echten Christen gewesen sind? Ob es nicht nchtiger wäre zu sageu, die sich immer gleich bleibende christliche Religion ge­nüge dem Menschen auf jeder Stufe der Kultureutwicklung, als die Religion selbst als einem unendlichen Entwicklungsprozeß unterworfen darzustellen? Ob der Unterschied zwischen Mohammedanismus uud Christentum nicht viel tiefer liegt als an der hier angegebnen Stelle, und zwar gerade in den historischen Personen der beiden Neligionsstifter? Ob nicht die Gleichnisse uud die Sprüche des Herrn, die beinahe zweitausend Jahre lang das Volk und die Gelehrten ^griffen und erbaut haben, und die sich durch eiue nicht auszuschöpfende Tiefe dor allen andern klassischen Reden auszeichnen, ob die nicht einen Klassiker im strengsten Sinne des Wortes als Autor voraussetzen, und ob einer Gesellschaft von Naturkiudcrn, wie Schmidt die Jünger nennt, zuzutranen ist, was sonst nur eiu hochgebildetes Genie leistet? Ob nicht die Annahme des Verfassers die Wunderbarkeit des Pfingstwnnders ins Unglaubliche steigert? Die Grün­dung der Kirche durch die galiläischen Fischer ist unter allen Umstanden ein !o großes Wunder, daß ihm gegenüber die Wunderthaten Jesu uud seine leib­liche Auferstehung ihr Wnnderbares verlieren. Aber wenn die Kraft, die sie dazu befähigte, eine rein innerliche Wirkung des göttlichen Geistes gewesen ist, Und die Person des Menschen Jesus gar nichts dazu beigetrageil hat, von einem überwältigenden Eindruck dieser Persönlichkeit keine Rede mehr seiu soll, so ^ird dadurch das Wunder noch viel erstaunlicher. Hat aber der Mensch Jesus ^ueu überwültigeudeu Eindruck hiuterlassen, so werden sich den Jüngern auch die Worte und Handlungen dieses Menschen tief und unvergeßlich eingeprägt haben, sodaß wir also iu ihren Schriften von dein historischen Jesus mehr ^ben, als Schmidt annimmt. Freilich ist auch dieses Mehr immer noch herzlich ^enig, sodaß die Schwärmerei der zahlreichen persönlichen Liebhaber des Menschen ^chl weit mehr dem Idealbild« gilt, das sich jeder nach seinem eignen Geschmack ^'°u ihm schafft, als der nun eiumal uicht genau zu ermittelnden Wirklichkeit.

Endlich werden es Wohl die meisten Leser sonderbar finden, daß ein Sender Mensch nicht geistzeugend soll wirken können. Daß der Meister, Nachdem er gezeugt hat, durch den fortdauernden Einfluß seiner Persönlichkeit "ic Entwicklung des heranwachsenden Kindes hindern kann, und daß nament­lich Christns die Erde verlassen mnßte, wenn seine Saat aufgehu sollte, ist enie Sache für sich. Also auf das alles soll nicht eingegangen werden, aber