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Hermann Allmers
noch um Herzoge und Grafen. Er bildete freie Bauerngemeindcn, die mir lockere landschaftliche Verbünde hatten. Erst nach der Reformation wurden die „Häuptlinge" zu Grafen von Ostfriesland, und die Grafen von Oldenburg Herren über das Nüstrin gerland. Es war ein trotziges Geschlecht, der friesische Bauernstand. Auch auf der See war es zu Hause; immerfort mußten die Hamburger und Bremer ihren Handel gegen friesische Seeräuber verteidigen; manchmal suchten sie sie in ihren mit Wall und Wassergraben umzoguen Burgen auf, und wenn sie sie bezwungen, so legten sie ihnen die Hänpter vor die Füße; so Bremen mit Dedo und Peto Lubben, Hamburg mit dem trint- berühmten Stortebeker. Auch iu der deutschen Dichtung taucht ein Manu auf, der die knorrige Art, die Mächtigkeit in seinem Wesen verkörpert, die seinen Staunn auszeichnet: Friedrich Hebbel. Im ganzen aber tritt das an Volkszahl ja auch mir kleiue Friesentnm weder in Deutschlands Kunst uud Wissenschaft uoch in seinen staatlichen Kämpfen stark hervor.
Der Allmersschc Stamm ist seit Jahrhuudcrten in „Osterstade" (d. h. Ostergcstade), am Ostnfer der Weser, südlich von Bremerhaven, ansässig gewesen. Er gehört zu dem friesischen Bauerntum, das auf seine Neichsfreiheit und Wehrhaftigkeit stolz war, uud zu deu verhältnismäßig wenigen dieser Bauernsamilien, die seit altersher ein Wappen führten, und zwar sämtlich einen halben Reichsadler iu einem Felde, nnd verschiedne Zeichen im andern. Sie behaupten, den halben Reichsadler geineinsam von Barbarossa erhalten zu haben, der ihnen damit eine Art Halbadel zugesprochen habe. Die Legende bezeichnet wenigstens das Selbstgefühl des Bauernstandes.
Das Allmersschc Heimatsdorf Rechtcnfleth ist ein echtes Marschdvrf. Es besteht uur aus etwa einem Dutzend Höfen, sämtlich strohgedeckt, und etliche» Hänslings- oder Heuerlings- (d. h. Tagelöhner-) Häuschen. Alle ducken sich hinter den Deich, der ihnen und deu Bäumen der nicht allzn großen Gärten auch gegen den Sturm etwas Schutz gewährt. Alle habeu hinter dem Hanpt- eingcmg eiue breite, lange Lehmdielc, beiderseits mit Viehständen. Im Sommer stehn sie meist leer, denn Kühe und Pferde gehn ans die Weide. Die Stallung ist gar nicht groß genug für die vielen Häupter, die im Sommer aufgezogen und gemästet werden. Im Herbst kommen Viehhändler und holen weg, was der Bauer nicht überwintern kann. Die Aufzucht vou Pferden uud Niudern, die Mästung von Ochsen und Kühen sind das wirtschaftliche Rückgrat für die Landwirtschaft der Marschen. Duzn bieten sich ihr die unabsehbaren Weide- flächcn dar, strotzend von grünem Gras und gelben Butterblumen. Weithin dehnt sich der Horizont, hier und da ein fernes Dorf am Deich liegend, ans der andern Seite der „Geest"rücken, d. h. der Rand des unfruchtbaren diluvialen Sandes. Der Himmel spaunt einen weiten Bogen, und Wolken von einer das Auge des Landschaftsmalers in Entzücken setzenden Martigkcit kommen majestätisch herangezogen und eutschwinden allgemach dem Auge. In all dem Sonnenglauz nnd Lerchenjubel — dieser nnd ein fernes Knhgebrüll ist der einzige Toi?, der die vollkommnc Stille unterbricht —, iu dem feinen Spiel des Lichts und der Farbe ist das eine Szenerie, deren Schönheit dem neuen Ankömmling nicht gleich aufgeht, die man aber bei uäherm Eindringen