Die Weltlage am Jahresanfang
7
Nordamerika mit in ihre Reihe, und unter den acht Mächten selbst zeigte sich eine sehr auffallende Gliederung, nämlich in die beiden Gruppen der Weltmächte, deren Besitz in fremde Erdteile reicht, und der Großmächte, die nahezu oder ganz auf den heimischen Erdteil beschränkt sind. Zu der ersten gehören England, Rußland, Frankreich, Deutschland und Nordamerika, zur zweiten Österreich, Italien uud Japan. Nur jene traten mit beträchtlichen Streitkräften auf, von diesen nur Japan, weil es am nächsten lag.
Den Schlußstein des europäischen Gleichgewichts und damit des werdenden Weltgleichgewichts bildet Deutschland, dessen Geltung durch den Dreibund verstärkt wird. Kein Wunder, daß wir von Feinden umlauert sind. Wir stehu jetzt ähnlich als Weltmacht wie das junge Deutsche Reich nach 1871 als europäische Macht, wie Preußen als die jüngste Großmacht nach den beiden ersten schlesischen Kriegen. Der Satz Heinrich von Treitschkes aus deu siebziger Jahren: „Man fürchtet und haßt uns, aber man liebt uns durchaus nicht," gilt heute wieder, vielleicht in verstärktem Maße; es wäre Leichtsinn, sich darüber zu täusche». Trotz aller Friedensneignng des französischen Volks sind dort die Revanchegelüste noch keineswegs erstorben, in Rußland verdenkt man es uns, daß wir nicht einfach im russischen Schlepptau fahren, sondern unsern eigneu Kurs steuern wollen, und in gewissen Kreisen sieht man dort in uns gar die Vormacht der gehaßten — nnd doch so unentbehrlichen — westlichen Kultur; in England endlich will man den deutschen Eindringling in die Weltpolitik nicht dulden, während man Nußland als ebenbürtig anerkennen muß, weil man es fürchtet nnd ihm nicht beikommen kann, und Frankreich notgedrungen zulassen muß, weil man in ihm den alten gewaltige» Gegner respektiert und wirtschaftlich von ihm nichts zu besorgen hat. Darum nehmen jetzt in der englischen Presse die Erörterungen über eine Verständigung zwischen England und Nußland und die Betrachtungen, wie man etwa den Dreibund auflösen oder seine Erneuerung verhindern könne, einen gewissen Raum eiu. Die MtionÄ Rsvisv hat in ihrem Dezemberheft ihre frühern Betrachtungen darüber unter dem Titel Loins vonLöMenvös vk im ^nAo- Russinn nnäerswnZinA fortgesetzt. Sie führt Österreichs Staatsmännern zu Gemüte, wie sie mit Nußland niemals zu einer Einigung über die Balkanhalbinsel in dem Sinne eines Vordringens bis Saloniki gelangen würden, so lange Österreich der „Trabant" MvUitö) Deutschlands sei, also jedes Wachstum seiucs Einflusses auch den Einfluß Deutschlands Verstürke. Österreich hat deshalb zu wähleu „zwischen dem Slawen und dein Deutschen." Stützt es sich auf die Slawen, dann ist ein Einvernehmen mit Rußland leicht herzustellen. Leider gehn die Politiker der lisvisv dabei wieder von einer mangelhaften Sachkenntnis aus. Es handelt sich in Österreich gar nicht darum, ob sich die Monarchie auf die Slawen oder auf die Deutschen stützen soll. Der Beweis ist eben erbracht, daß sie Nieder gegen die einen noch die andern regiert werden kann, daß die Nationalitäten gleichberechtigt sein müssen in der Teilnahme am Staatsleben und in allen andern Beziehungen. Es handelt sich lediglich noch darum, inwieweit das Deutsche die Staatssprache oder, wie man dort lieber hört, die Vermittlungssprache sein soll, die „das