Die U?oh>mngs> und Bodenpolitik in Großberlm
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Die vor 1887 in den Vororten von Berlin, soweit sie Gutsbezirke und Landgemeinden waren, geltende Baupvlizeiordnnng für das platte Land des Regierungsbezirks Potsdam vom 15. März 1872, die, wie Voigt zutreffend bemerkt, nur eine wenig veränderte Wiederholung alterer Verordnungen war, enthielt überhaupt keine Begrenzung der Höhe der Gebäude oder der Größe der Bausläche. Hier griffen — wie wieder Voigt selbst richtig bemerkt — nur die allgemeinen Normen Platz, nach denen sich die Höhe der Gebäude nach der Straszenbreite richtet. Diese war aber bei den meist recht breiten Dorfstraßen lein Hindernis für die Errichtung hoher Häuser und sogenannter Mietkasernen. Der ländliche Charakter der Bauordnung bestand nur darin, daß grundsätzlich zwischen zwei Gebäuden mit feuersichrer Bedachung ein Abstand von wenigstens fünf Metern vorgeschrieben war, wovon aber die Land- ratsümter DispenS erteilen konnten nnd reichlich erteilt haben. Die Bau- ordnnng der Stadt Charlottenbnrg kannte auch diese Beschränkung nicht. Schon danach muß es als unrichtig bezeichnet werden, wenn Voigt sagt: „Am 15. Januar 1887 wurde bekanntlich für Berlin eine neue Banordnung erlassen, die das System der fünfstöckigen Mietkaserne zwar gänzlich unangetastet ließ, jedoch immerhin gegenüber den bisherige,? Zuständen für die Stadt selbst einen gewissen Fortschritt bedeutete. Diese neue Bauordnung hielt die Königliche Regierung zu Potsdam für so ideal, daß sie nichts eiligeres zu thun hatte, als sie unter dem 24. Juni 1887 auf fast sämtliche Vororte auszudehnen, denen damit das System des Massenmiethauses von Obrigkeits wegen direkt aufoktroyiert wurde. Selbst für die schönen Villenvororte im Südwesten wnrde die fünfstöckige Mietkaserne als angemessene Bauart erklärt." Wer die Bau- und Wohnverhültnisse in den Berliner Vororten vor und nach 1887 mit eignen Augen und mit vorurteilsfreiem Verständnis kennen gelernt hat, dem muß diese absprechende Kritik vollends ungerechtfertigt und nur daraus erklärlich erscheinen, daß sich Voigt wie die übrigen sozialistischen WohnnngSpvlitiker viel zu sehr in die doktrinäre Tendenz verrannt hat, das Ein- höchstens Zweifamilienhaus Z. Wut xrix als die einzig zulässige Wohnhausform auch in den Großstädten und auch für die Arbeitcrbcvölkerung durchzusetzen. Wenn man mich die Bauordnung vom 24. Juni 1887 in mancherlei Punkten mit Recht bemängeln kann und namentlich die später eingeführte Ausschließung der geschlossenen Bebauung in bestimmten Landhausbezirken nur gut heißen wird, so war sie gerade durch die Rücksicht auf die Arbeiterbevölkeruug, wie sie die handgreiflich zu Tage tretenden Bedürfnisse in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre erheischten, sehr wohl zu rechtfertigen. Die damals besonders starke Zunahme der Berliner Bevölkerung führte ganz natürlich zu einer besonders starken Ausdehnung der Bebauung mit großen Miethäusern auch m den Vororten, und dafür mußte eine neue Bauordnung erlassen werden, die der bisherigen Unordnung Maß und Ziel setzte. Die Bau- und Wohnzustände in den Berliner Vororten mit „ländlichem und kleinstädtischem Charakter" waren, Grenzboten III 1901