Pancratius (Lapitolinii?
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war ein Bild von grausigem Hnmor, als aus dem Kellerloche die mit den in der Bibliothek gefundnen phantastischen Garderobeflücken und Perücken behängten Gestalten der urplötzlich nüchtern gewordnen Soldaten auftauchten und die beiden Leichen hinter sich her schleppten, aus deren blauroten Gesichter» die weit aufgerissenen Angen mit glasigem Schimmer ins Leere starrten.
Man grub im Garten ein Grab, legte die toten Kameraden hinein, gab über dem Hügel eine Gewehrsalve ab und schmückte die Stätte mit dem römischen Altar, auf dessen glatte Rückseite ein des Schreibens kundiger Lothringer mit roter Farbe die Namen Pierre Degras und Jean Jacques Etoupille malte.
Während alles dies geschah, saßen der Niese und der Zwerg, der Mann des Kampfes und der Friedensengel, einträchtig nebeneinander auf der umgedrehten Backmulde und erzählten sich ihre beiderseitigen Lebensschicksale, denen eine gewisse Ähnlichkeit nicht abzusprechen war. Der Große wie der Kleine hatten sich an demselben Vorbilde zu denkwürdigen Thaten begeistert, aber aus dieseu Thaten war nie etwas Rechtes geworden, nicht weil den beiden Männern die Fähigkeit nnd die Ausdauer gefehlt hätten, sondern weil ihnen ein tückisches Schicksal immer im entscheidenden Augenblick einen Strich durch die Rechnung zn machen pflegte. Sie waren beide große Springer, aber beiden fehlte das Rhodus, ans dem sie sich mit ihren Fertigkeiten hätten produzieren können. Was nützen alle Talente und Vorsätze, so lange das Glück nicht die Gleichheit aller Menschen respektiert! So lange es dem korrupten Grundsätze huldigt, seinen Günstlingen alles zn geben uud den andern uicht einmal die Gelegenheit läßt, auch nnr die allerkleinste Großthat zn vollbringen! Wie viele Bonapartes mögen wohl unter uns wandeln, denen zn einer glänzenden Laufbahn nur die Brücke von Arcole fehlt, die sie ohne Frage genau so wie jener bekannte Bvnaparte ans Ajnceio als Sprungbrett zum Sprunge in die Unsterblichkeit benutzen würden.
Wodurch sich Pancratius vou Martinchen unterschied, das war der leise Zweifel, den er, allerdings erst seit wenig Stunden, an seiner eignen Heldenmission hegte. Die bittre Erkenntnis, daß er möglicherweise doch nicht der sei, den sich das Schicksal als Werkzeug zur Vertilgung der Gallier ausersehen habe, hatte ihn in der kurzen Zeitspanne um Jahrzehnte gereist. So konnte er mit wehmütigem, mitleidvollem Lächeln den Friedensprojekten des kleinen Frenndes lauschen, der noch so hoffnungsfroh, so uubefangen zuversichtlich, so voller schöner großer Illusionen war. Und so kam es, daß die beiden Freunde, die Hand in Hand auf ihrem Backtroge saßen, sich gegenseitig mit der nachsichtigen Milde und der fingierten Teilnahme behandelten, die man gewöhnlich nur Menschen zuwendet, deren geistige Verfassung solche zarten Rücksichten fordert. Und da sie sich nun gegenseitig in ihren Vorsätzen bestärkten, und jeder von ihnen auf die vermeintliche Wahnidee des andern einging, so wurden sie an einander völlig irre und betrachteten sich gegenseitig mit stillem Argwohn. Dies verhinderte jedoch nicht, daß jeder von ihnen in seinem Innern dem Himmel für die ihm verliehene Gabe höherer Einsicht dankte, nnd daß sogar Pancratius langsam wieder zu der Überzeugung gelangte, das Schicksal habe ihm dennoch große Aufgaben vorbehalten, uud seine jetzige Lage — er betrachtete hierbei die Fessel, die er mit einem einzigen Ruck hätte sprengen können — sei nur eine läuternde Vorbereitung für das Kommende.
Das Zwiegespräch der beiden Freunde wurde durch die Rückkehr des Boten unterbrochen. Dieser überbrachte dem Leutnant den Besehl, den Gefangnen zur Aburteilung nach Burgbrohl zu schaffen, wo sich gerade der mit der Bestrafung widersetzlicher Zivilpersonen betraute Offizier aufhielt. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß der Ausdruck „Zivilpersonen" unseru Delinquenten ein wenig ernüchterte. Daß er zn dieser Kategorie von Menschen gehörte, kam ihm erst jetzt zum Bewußtsein. Allerdings: ein Geistlicher ist kein Berufssoldat, aber konnte er nicht auch