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Denn wiederum war die Freiheit der Wahl und des Entschlusses beschränkt. Der Krieg hatte ja den großen Erfolg gebracht, daß die lmndesmäßige Einigung Norddeutschlands eine Frage der innern Politik geworden war, aber sie drängte; die weitere, theoretisch unlösbare nach dem besten Wahlrecht dürfte nicht damit vermischt werden. „Wir haben einfach genommen, was vorlag, und wovon wir glaubten, daß es am leichtesten annehmbar sein würde. ..." „Das all- geineine Wahlrecht ist lins gewissermaßen als ein Erbteil der Entwicklung der deutschen Einheitsbestrebnngen überkommen. ..." „Was wollen denn die Herren . . . uud zwar mit der Beschleunigung, deren wir bedürfen, an dessen Stelle setzen?" „. . . im ganzen giebt jedes Wahlgesetz unter denselben äußern Umständen und Einflüssen ziemlich gleiche Resultate." „. - - uud ich kann nur sagen: ich keime wenigstens kein besseres Wahlrecht." So drückte Fürst Vismarck die treibenden Erwäguugeu aus. Sie waren rein praktischer Natur, wogen aber so schwer, daß er die geheime Abstimmung, die erst durch den Friesschen Antrag in die Verfassung kam, mit in den Kauf nahm und sich sogar dazu verstand, daß dem vorgelegten Entwurf zuwider die Beamten wählbar sein sollten. Erst bei der Diütenfrage fand die Nachgiebigkeit eiue Grenze, in dieser blieb er fest, uud diese Beschränkung des passiven Wahlrechts wurde das „Korrektiv" des schrankenlosen aktiven Verfassungssatzes. Als solchem und als untrennbaren Bestandteil des ganzen Kompromisses hat es Fürst Bismarck bis zuletzt angesehen, daß die Reichstagsabgeordneten keine Tagegelder oder sonstigen Entschädigungen für ihre Auslagen beziehn dürften.
Mau kann Wege» der Diäten und in der ganzen Wahlfrage andrer Meinnng seiu als Fürst Bismarck, was die Vergangenheit anbelangt sowohl als auch für das eigne zukünftige Verhalten, uud wer es ist, darf sicherlich auch hierin eine Änderung der Neichsverfassuug so gut wie auf jedem andern Gebiet erstreben. Aber er mnß sich, falls er darauf Wert legt, für eiueu Anhänger der Bismarckischeu Tradition im ganzen zu gelten, klar macheu, daß er dann die Wege des Meisters iu einer Kardinalfrage verläßt. Und wer die Bismarclische Autorität gar nicht gelten läßt, wird doch zugeben müssen, daß der betreffende Bestand der Neichsverfassnng ein zusammenhängendes Ganze ist und ans einem Kompromiß beruht. Wer die Schranke der Diätenlosigkeit anficht, macht auch denen das Feld frei, die die Schrankenlosigkeit des aktiven Wahlrechts bisher mir darum ertragen haben, weil sie sich au den Kompromiß hielten uud sozusagen eins ius andre rechneten. Und den Gegnern des all- gemeinen Wahlrechts lösen auch die die Hände, die, wie jetzt mannigfaltig ge schielst, aus seiuer reichsverfassuugsmäßigeu Anerkennung einen Grund ableiten, es ans die Einzelstaaten anszudehnen. Sie schmuggeln dergestalt aus der kvmpromißmäßigen Anerkeunuug ein Vorbild heraus uud reizen die Andersdenkenden dazn, diese Basis als Stein deS Anstoßes ganz zu beseitigen.
Die Sache ist in der That in Fluß geraten, und wie man es gern ans ' drückt, die Frage ist aufgerollt, der Tagesstreit ist entbrannt. Am rührigsten ist der ans den Ultramonwneu, den roten Liberalen und den Sozialdemokratin