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Kindersprache und Sprachgeschichte
stellt. Aber dieser Unterschied ist nicht von Belang, die Übereinstimmung in allein Wesentlichen bleibt bestehn. Wir dürfen deshalb schließen: Haben schon die weitvorgeschrittnen Kultnrsprachen in ihrer Entwickluug alle wesentlichen Züge mit der Kindersprache gemein, herrscht eine noch größere Ähnlichkeit zwischen dieser und den Sprachen der Naturvölker, dann muß den Anfängen der Kindersprache die Ursprache nahezu völlig gleich gesehen haben.
In derselben Lage wie die eben sprechen lernendeu Kinder, die mir wenig Begriffe mit Lanten bezeichnen, deren Zunge uoch ungeübt ist, warm ja zweifellos auch die ersten Sprachbildner. Und wenn auch eiu großer Unterschied darin besteht, daß das Kind geleitet wird, daß es zum mindesten au der Sprache der Erwachsenen eine Stütze findet uud ein Vorbild, dem es die eignen Bildungen immer mehr annähert, während beim Urmenschen jede Hilfe fehlte: so bleibt bei der Selbstthätigkeit der Kleinen, die trotz aller Auleitnng immer noch erforderlich ist, des Gemeinsameil genug. Wir haben nur alles, was von unsrer Sprache in die der Kinder übergeht, wegzudenken, uud wir dürfen annehmen, eiu ziemlich getreues Bild der Ursprache zu habeu. Einzelne an der Kindersprache gemachte Beobachtungen hat man schvn längst zu solchen Schlüsseu verwertet. Seit einiger Zeit hat man aber die Beobachtungen auch planmäßig angestellt. Sehr zuverlässige uud ausführliche Mitteilungen verdanken wir z. B. Darwin und Preyer; und neben diesen sei statt aller auderu Lindner genannt, dessen Buch „Aus dein Natnrgarten der Kindersprache" allen jungen Eltern auf das wärmste zn empfehlen ist. Aber es kann nicht genng beobachtet werden, noch manche Fragen harren der Antwort, uud es wäre sehr zu wünschen, wenn Lindners liebenswürdiges Bnch recht viele dazu anregte, die geistigen Fortschritte ihrer Kinder aufzuzeichnen. Freilich, richtig zu beobachten und zu deuten ist nicht so leicht. Aber Lindner mit seiner vorsichtigen, besonnenen Art kann da jedem ein Muster sein,^) Eine sehr dankenswerte Zusammenstellung der bisher gewonnenen Ergebnisse giebt Franke („Sprachentwicklung der Kinder und der Menschheit" in Neins eneyklopädischem Handbuch der Pädagogik, auch im Sonderabdruck erschiene!,). Auch sei das Büchlein von Agatholl Keber „Zur Philosophie der Kindersprache" erwähnt, das eine hübsche Sammlung von allerlei Äußerungen aus Kindermund bietet.
Die folgende Darstellung geht von gemeinsamen Zügen der Kindersprache und unsrer eignen Sprache aus und verfolgt die Übereinstimmung zurück bis zu den Anfängen der Sprachentlvicklnng. Die angeführten Beispiele sind zum Teil einer eignen kleinen Sammlung entnommen. Wenn das Kind pilen für spielen, Blümßen für Blümchen, Kaftoffel oder gar Kafkoffel für Kartoffel sagt — nm aus dem äußerst mannigfaltigen Gebiete des Lautwandels ein
Die Weisungen, die Preyer in seinem Buche „Die Seele des Kindes" für solche Aufzeichnungen gegeben hat, lauten: „Neue umfangreiche Tagebücher über das Sprechenlcrnen der Kinder in den ersten Lebensjahren sind dringend zu wünschen. Sie sollen nur neu festgestellte Thatsachen, keine Hypothesen, nicht alte Beobachtungen, sondern nur unmittelbar niedergeschriebne, und nicht Wiederholungen der Angaben andrer enthalten."