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Kindersprache und Sprachgeschichte
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Kindersprache und Sprachgeschichte

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nenne, und brachte in Erfahrung daß die Phryger dns Brot so nennein Das war für die Ägypter der Beweis, daß die Phryger älter sind als sie, und sie geben es jetzt zu.

So erzählt Herodot, Er hat die Geschichte sicherlich geglaubt, jedenfalls hat er die Anschauungen, von denen der König Psammetich dein Berichte nach ausgegangen ist, geteilt. Und wie wunderlich sind diese! Die Ursprache des Menschengeschlechts soll bei jeden, Kinde, das sich selbst überlasseu aufwächst, wieder hervorbrechen! Und diese für erblich gehaltne Ursprache soll sich un­verändert erhalten haben, eine lebende Sprache soll die Ursprache selbst sein! Wir wissen längst, daß diese Ansichten verkehrt sind. Und doch, so veraltet sie sind, manches mntet uns fast modern au. Wir finden da in dieser zwei- uudeinhalbes Jahrtausend zurückliegenden Zeit nicht nur ein regelrechtes Ex­periment und dieses Forschuugsmittel ist dem Altertum, ja sogar noch dem Mittelalter im allgemeinen fremd -, wir sehen den König Psammetich auch von der ganz richtigen Erwartung beherrscht, daß das Verhalten der Kinder in den ersten Lebensjahren wichtige Aufschlüsse liefern kann. Ja man könnte noch mciter gehn und sagen: Auch die Fragestellung des ägyptischen Königs ist durchaus nicht ganz verkehrt, nur verbesserungsbedürftig. In der That, wenn man so fragte: Treten bei verschicdncn, sich selbst überlassenen Säuglingen gleiche artikulierte Lautgebilde auf als Bezeichnungen für Dinge oder Vorgänge der Außenwelt? dann sähen wir uns mitten in den Streit der Meinungen ver­setzt, wie er heute geführt wird. Doch greifen Nnr nicht vor. Halten wir uns zunächst au jenen allgemeinen Gedanken. Unsre Kleineu sind für den Sprach­forscher ein nnschätzbarer Bevbachtuugsgegeustand. Nichts giebt ein deutlicheres Bild von dem Wesen und von der Entwicklung der Sprache als die Art, wie sie zu verstehu und sich verständlich zu machen beginnen, mit all den anscheinend wuuderlicheu Fehlern, die uns so sehr belustige,,. Diesen Fehlern, d. h. den Veränderungen, die das Kind vornimmt, entsprechen immer Veränderungen in den Sprachen der Völker. Das Kind ändert die Laute, bildet eigentümliche, neue Formen, nennt die Dinge mit selbstgeschasfnen Namen ebenso wir Erwachsenen, nur daß wir uns einer Abweichung von, Üblichen meistens nicht bewußt oder doch nicht klar bewußt sind, und daß diese Berändernngeu auch nur in verhältnismäßig geringer Zahl auftreten. Und die Übereinstimmung geht noch weiter: das Neue entsteht dort wie hier auch auf eine gleiche Art. Mögen beim Kinde die Sprachwerkzenge noch so ungeübt, mag der Verstand >wch so uueutwickelt sein, die physiologische und psychologische Anlage ist doch dieselbe wie beim Erwachsenen, und der Sprnchwandel unterliegt denselben Gesetzen. Ein Unterschied besteht nur in der Ursache der Änderung. Das Kind ändert, weil es das Richtige nicht treffen kann. Bei den, Erwachsenen tritt dieser Grnnd znrück: wirkliches Unvermögen kommt fast nur bei der zunächst unmerklichen Verschiebung der Laute iu Betracht. Er ändert hauptsächlich aus andern Gründen, nnd zwar aus sehr verschieduen, unter denen die so mannigfach umgestaltend wirkende Bequemlichkeit nur einen dar-