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Die Tagesansicht Gustav Theodor Fechners
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Die Tagesansicht Gustav Theodor Rechners

immer nur von den Thatsachen der Erfahrung auszugehu, nnbekümmert zu­nächst um die Deutnng dieses Zusammenhangs. Er neigte wohl im ganzen mehr zu einer einheitlichen Auffassung, aber seiner im höchsten Sinne prat- tischen Denkweise erschien die Wiederholung des Verhältnisses von Leib uud Seele durch alle Schöpfungen hindurch wichtiger als die Frage nach der Natur dieses Verhältnisses im einzelnen Fall. Im Gegenteil ist es gerade für seine Tagesansicht bezeichnend, daß sie die Verbindung zwischen Seele und Leib nicht bloß als eine ausnahmsweis, bloß für Menschen und Tiere bestehende und nicht bloß auf das Diesseits beschränkte, überhaupt nicht als eine äußerlich trennbare ansehen will oder kann. Die Seelenfrage hat ja Fechner lange, ehe er die Tagesansicht zusammenhängend formulierte, in dem Sinne behandelt, daß man nicht fragen solle, wo die Beseelung anfange oder aufhöre, dadie Idee nicht durch Pflanzen und Sterne weht wie ein Wind," uud der Geist nicht an Nerven gebunden sei, sodaß er nur deu Menschen und den Tieren als vorrechtweise zustehe. Im Sinne der Tagesansicht steigt über die Welt der einzelnen menschlichen Bewußtseinskreise eine höhere Welt in den Bewußtseins­kreisen der Sterne auf, und der enge, hochentwickelte Bewußtseinskreis des Menschen hat den kindlichen der Pflanzen unter sich. Im Sinne der Nacht­ansicht freut und rühmt sich der Mensch der Einheit seines Bewußtseins, worin er etwas ganz besondres der Zerstreuung der Naturdinge gegenüber zu haben meint. Aber die Tagesansicht fühlt sich von keiner Zerstreuung der Dinge bedrückt, denn ihr ist die Einheit des Bewußtseins allgegenwärtig, und der Mensch hat die seine nicht als eine von der göttlichen unterscheidbare, sondern ihr untergeordnete. Fechner ruft mahnend: Sich doch nur in dich hinein! Die Einheit des Bewußtseins ist nicht vergleichbar der Spitze, sondern dem Zu­sammenhang der Pyramide: eine Pyramide kann sich gliedern und untergliedern, ohne sich zu spalten; so gliedert und stnft sich die Welt. So wie in unserm eignen Geistesbau die Siuneskreise voneinander geschieden sind, und keiner seine Empfindung mit dem andern teilt, während unser Bewußtsein sie alle umfaßt, so ist auch die Scheidung des Bewußtseins zweier Nachbarstufen nur Scheidung im Bewußtsein einer höhern. Und so wie diese Abstufung in den Menschen hinein, reicht sie über ihn hinaus. So haben die Menschen uud alle andern Geschöpfe eines Gestirns ihr Gestirn als höhere Stufe über sich, das Gestirn aber seine Geschöpfe unter und in sich. Und jedes Gestirn hat teil cm der allgemein menschlichen Bewnßtseinseinheit, dieser Teil ist von dem der andern Gestirne geschieden, in Gott nur unterschieden. Noch mehr als die Menschen auf der Erde siud die Sterne am Himmel voneinander verschieden. Innerhalb dem großen allgemeinen Zuge einer Kraft, die sie ordnet und erhält, hat jedes seine eigne Schwere, seinen eignen Tages- und Jahreswechsel, seine be­sondre Geschichte, sein eignes Leben. Man sehe unsre Erde, wie sie in dem reineu, feinen, klaren Äther schwimmt, einem großen Ange vergleichbar gebaut, das Licht einatmend. Sollte es nun für den Äther keine Geschöpfe geben? Der Abstand zwischen Gott und uns ist groß, die himmlischen Geschöpfe sind