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Zurück zu Kant!
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Zurück zu Kant

dings weder Weichensteller noch Zugführer werden, wird aber in seinen sonstigen Beziehungen zu seinen Mitmenschen nicht gestört und eignet sich sogar zum sezessionistischen Maler ganz ausgezeichnet. Schlimmer wäre es schon, wenn alle Menschen verschiedne Farbenwahrnehmungen hätten; es könnte dann weder zur Malerei noch zu Moden in den Kleiderfarben und Mustern kommen, und es würden ans den verschiedensten Lebensgebieten mancherlei Schwierig­keiten entstehn. Die Möglichkeit des Verkehrs der Menschen und ihrer Ver­ständigung untereinander beruht also darauf, daß alle Menschen, mit Ausnahme einiger Kranken, durch ihre Sinneswahrnehmungen ungefähr dasselbe Weltbild empfangen, was zweierlei voraussetzt: deu gleichartigeil Bau der Sinnesorgane und die gleichartige Einrichtung der wahrnehmenden Seelen. Daß nicht alle wahrnehmenden Wesen dasselbe Weltbild haben, beweisen manche niedre Tiere, denen einzelne Sinne fehlen, und die Insekten mit Facettenaugen; wie für diese ihre Umgebung aussieht, können wir uns nicht vorstellen; daß sie aber ganz anders aussehen muß als für uns, ist gewiß. Diese Wesen haben ihre eigne Welt; was ein Glied von unsrer Welt bilden und mit uns verkehren soll, wie die Haustiere, das muß auch ein dem unsern annähernd gleiches Weltbild und daher den unsern ähnliche Sinnesorgane haben. Daß es aber nicht auf die Sinnesorgane allein ankommt, daß eine geistige Übereinstimmung hinzukommen muß, erfahren wir aus den Wahngebilden der Irrsinnigen. (Ab­gesehen davon, daß die Wahrnehmung selbst, als bewußtes Empfinden und mit der Erregung der Seh-, Gehör- usw. Nerven unvergleichbar, unter allen Umstünden etwas geistiges ist.)

Wie ohne diese ursprüngliche, nicht erst anerzogne oder durch Eindrücke der Außenwelt bewirkte Übereinstimmung des Seelenbaus in den verschiednen Menschen nicht einmal der allereinfachste uud unentbehrlichste Verkehr möglich wäre, so hätten wir ohne eine ähnliche Übereinstimmung in höhern Gebieten keine Wissenschaft. Unsre Übereinstimmung in den Naumvorstelluugen und im Zählen macht die Mathematik möglich. Jeder Mensch, der darüber nach­denkt, findet sich in einem Raume, dessen Teile mit ihren begrenzenden Flüchen und Linien in ihren Beziehungen zu einander unabänderlichen Gesetzen unter­liegen: wie daß zwei gerade Linien sich höchstens in einem Punkte schneiden, und daß in einem Punkte nicht mehr als drei gerade Linien aufeinander senkrecht stehn können. Wir können uus einen anders beschaffnen Raum denken, einen Raum von vier Dimensionen, einen krummen Raum, worin jede einer Naumdimension folgende Linie in sich selbst zurückkehrte, aber vor­stellen können wir uns keinen andern Raum als den, dessen Eigenschaften Euklid gezeigt hat; aus diesen Eigenschaften leiten wir alle Sätze der Geo­metrie, wie aus der Zahlenreihe die Sätze der Arithmetik ab, und ohne diese beiden Wissenschaften hätten wir keine exakte Naturwissenschaft, denu, wie schon Aristoteles erkannt hat, jede Wissenschaft enthält genau so viel Exaktes, als Mathematik in ihr steckt (woraus, nebenbei bemerkt, allein schon folgt, daß Physiologie nur in einem sehr geringen Umfange, Biologie aber nicht im