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Einige Lebensbeschreibungen
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Lini^ Llchensbeschnnbimzen

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Nie hat er in seinen Überzeugungen geschwankt, und nie hat er dem die Ge­bildeten seiner Blütezeit beherrschenden Materialismus das geringste Zuge­ständnis gemacht. Dagegen hängt bei dem Manne, der auf unserm Bücher- tische neben Lotze geraten ist, der schöne Stil, die schöne Darstellung mit einer weibischen Chnrakteranlage zusammen,

Ernest Renan ist'nach dem Bilde, das Eduard Platzhoff von ihm entwirft (Dresden und Leipzig, Carl Neißner, 1900), auf feiue alten Tage eine widerliche Kokette geworden. Schon in seinen Jünglingsjahren machte sich die Charakterschwäche bemerkbar. Als Seminarist leidet er Schiffbruch im Glauben; er schwankt, was er thun soll. Da ist es seine Schwester Henriette, die ihm sagt, daß man in Gewissensfragen den Rücksichten ans Verwandte keinen Einstuft gewähren dürfe, und die seine Neigung bekämpft, nm der ästhetischen Reize des geistlichen Berufes willen und ans Schen vor dem öffentlichen Ärgernis seine innerste Meinung geheim zn halten. Immer lustig mit der herrschenden Zeitströmung schwimmend, fängt er als Liberaler und Anhänger sozialistischer Utopien an und endet als aristokratischer Genußmensch und Skeptiker. Den Mitgliedern der Akademie schwört er bei seiner Aufnahme, er werde niemals die Strenge der wissenschaftliche» Ausdrucksweise der Gefallsucht zum Opfer bringen, und gerade von da ab wird Effekthascherei sein Stilgesetz; er war imstande, das Gegenteil von seiner Meinung zu sagen, wenn sich ihm dafür eine wirkungsvolle Wendung darbot. Als nsthetisierender Epikuräer ist er David Strauß verwaudt, mit dem er auch in freundschaftlichem Briefwechsel gestanden hat; doch ist Strauß nie so tief gesunken wie Renan; das Bild, das Nietzsche von ihm entwirft, paßt besser auf seineu französischen Halbbruder in, Apoll als auf ihn.

Wie ehrwürdig erscheint neben solchen Mollusken der grimme Schopen­hauer! Auch er hat nach Anerkennung gelechzt, aber er hat trotzdem niemals aufgehört, dieMetze" öffentliche Meinung zu verachten und hat nie um ihre Gunst gebuhlt; was sie ihm vor seiuem Lebensende uugeschmeichelt, vvu seiner Größe wie von innern Nöten überwunden, darbot, das hat er dann freilich gern angenommen. Von ihm haben wir eigentlich in den letzten Jahren gerade genug gehört und gelesen. Trotzdem heißen wir das Buch von Johannes Volkelt willkommen: Arthur Schopenhauer, seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube. Mit Bildnis. (Stuttgart, Fr. Frommanns Verlag. 1900.) Es bietet eine wirklich gute kritische Darstellung der Philosophie Schopenhauers, und es zeigt, wie seine Philosophie aus seiner Persönlichkeit hervorgeht. Schon als fünfzehnjähriger Jüngling war er Pessimist, wie sein Tagelmch beweist. Es sind nicht Weltschmerzphrasen, wie sie vor hundert und noch vor fünfzig Jahren Jünglinge den berühmten Wcltschmerzleru nachzuschreiben pflegten, sondern es sind tiefe und wahre Empfindungen, die ans klar erkannten und verstündig beurteilten eignen Erfahrungen entspringen. Überall zieht das Düstre seinen Blick auf sich und halt ihn fest; in Tvulon ist es das Eleud der Galeerensklaven, was ihn fesselt und zum Nachdenken zwingt. In Lyon stndet er das Markttreiben schrecklich, weil der Markt nicht lange vorher der Schauplatz blutiger Greuel gewesen ist. Das Vergessen überstaudner Ver­zweiflung'entfett ihn. Weil'er beobachtet, wie die Menschen das Geschehene, wäre es auch das Furchtbarste, als nicht geschehn behandeln und bald ganz vergessen, drängt sich ihm der Gedanke auf, daß im Grunde genommen wirklich >nchts geschehe alles Geschehen wie alles Sein nichtig sei. So gesellt sich zum Pessimismus die buddhistische Majalehre: Das Leben ist nichts Wirkliches, nur ein wüster Traum.