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Alte und neue Weltpolitik : Festrede zum Geburtstage des Kaisers
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züge sind uicht Eroberungskriege, sondern Maßregeln zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der innern Ordnung. Und alle diese Feldzüge bis nach Süditalien, ja gelegentlich bis in den Orient wurden mit den unvollkommnen, schwerfälligen Mitteln eines geld- und verkehrsarmen Zeitalters der Natural- wirtschaft auf schlechten Landwegen gefuhrt, unter Schwierigkeiten, deren Über- Windung oft eine erstaunliche Leistuugsfähigkeit voraussetzt, wenn man erwägt, was es noch heute bedeuten würde, Tausende schwerer Reiter über die Alpeu bis nach Rom und Neapel oder gar die Donau hinunter nach Konstantinopel und Kleinasien zn führen! Auch uusre moderne Weltpolitik beruht auf dem Rückhalt einer festgefügten, gewaltigen Landmacht, aber ihr wirksamster Arm ist die Flotte, denn ihre Ziele liegen jenseits des Meeres. So überraschend freilich ist die Notwendigkeit einer starken Kriegsflotte zur Beherrschung des Meeres aufgestiegen, daß der jetzt vorhandne Bestand weit hinter dem Be­dürfnis zurücksteht, und daß unsre Politik deshalb noch nicht frei genug ist, überall so stark auftreten zu können, wie es unser Interesse und unser ge­steigertes Selbstgefühl verlangt. Und doch ist die Thätigkeit unsrer Kriegs­marine gar nicht vorwiegend militärisch, sondern meist vorbeugend lind demon­strativ. Aller Orten, wo es notwendig ist, unsre Flagge zu zeigen, mit ge­panzerter Faust bereit zu sein, wo deutsche Interessen zu schützen sind uud Achtung vor ihnen einzuflößen, das ist ihre fortwährende Aufgabe. Sie er­wächst aus der mehr wirtschaftlichen als politischen Art unsrer Ausbreitung über die Welt, uud diese ist wiederum nur möglich für ein wirtschaftlich voll- reifes, mit allen Mitteln einer hoch entwickelten Geld- nnd Kreditwirtschaft, einer großartigen Technik arbeitendes Volk.

So verschieden nuu aber auch Mittel, Grüude uud Ziele der modernen und der mittelalterlichen Weltpolitik, so nahe verwandt sind einander beide doch wieder in den Grundzügeu. Beide make gab sie unsrer Nation die ihr nach ihrer geographischen Lage und ihren reichen Kräften gebührende Stellung in der Welt. Das Gebiet, das unser Volk iu merkwürdigein Hin- und Herschiebeu in der Mitte des Weltteils eingenommen hat, liegt auf den Verbindungslinien zwischen Ost- nnd West-, Nord- und Südeuropa, zwischen den beiden nordeuropäischeu Binnenmeeren und dem Mittelmeer, die beide die Bahn öffnen nach dem Ozean. So wurde Deutschland unter dem alten Kaiser­tum und zum großen Teil auch durch das Kaisertum die große Kulturmacht für den barbarischen Osten, die erobernd, bekehrend uud kolonisierend in die slawischen Nnchbarlande vordrang und sie bis an den sinnischen Meerbusen und die Karpaten hin mit ihren kirchlichen und staatlichen Gründungen, mit ihren Städten und Dörfern bedeckte. Aber diese Kulturmacht wurde Deutsch­land nur, weil es mit dem romanischen Süden, mit dem Kreise der Mittel­meerkultur in deu engsten Beziehungen stand, erst vornehmlich durch die Kirche, die durch Vomfatius von Rom ausgegangen war und in Rom ihren Mittel­punkt sah, dann auch durch das Kaisertum, das der ewigen Stadt seinen Titel entnahm. Ohne diese Verbindung hätte die deutsche Kirche niemals ihre im-