Paul l^yse
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Ehe diese Bemerkungen zn Ende gebracht ,verden, mag sich der Leser für eine Weile Panl Heyses „Novellen in Verseil" vergegenwärtigen, Sie sind nichts fürs Volk, das hat der Dichter von Anfang an gewußt, uud mit den lmntcn „Säugen" der Butzenscheibenpoeten haben diese zarten Sachen in der Popularität nicht Schritt halten können. Das Publikum will eiuen Inhalt möglichst mühelos verschlingen, da wird der Vers zum. Hindernis, weil nns Deutschen mm einmal im Gegensatz zn den Romanen der Sinn für den Reiz der Form nur kärglich zugemessen ist. Ohne Frage sind aber diese Novellen in Versen das eigentümlichste und nach unsrer eignen Meinung feinste Gewächs unsers Dichters. Hier zeigt sich in seiner Natur etwas dem romanischen Wesen verwandtes, worauf ja schon vieles in seinem Studiengange deutet, die Troubadours uud das Spanische, dann die schnelle nnd innerliche Aneignung alles dessen, was mit Italien zusammenhängt. Nnn ist es von Interesse, zu hören, mit wie klarem Stilgefühl er sich über das Besondre dieser kleinen Geschichten ausspricht: Sie haben schon im Stoff einen gewissen höhern poetischen Reiz, eiueu idealen Zug, der am glücklichste,, iu Rhythmus und Reim zu Tage treten konnte. Das ursprüngliche novellistische Motiv verlockte zur Behandlung iu Versen, wenn sich sein Reiz schon im Nmriß erschöpfen ließ. Wo es aber auf eine tiefere psychologische Dnrchführung, auf individuellere Charakteristik und schärfere Loknlfarben ankam, da waren realistischere Dar- stellungsinittel nötig, die nur im Prosastil zu Gebote stehn. Nirgends, meinen Nur, spürt man die Freude am Vers und das Formgefühl des künstlerischen Menschen so durch, wie in jener zierlichen Gattung. Aber auch in der eigentlichen Lyrik, so dürfen wir jetzt wohl sagen, in der eignen Sprache, die er aus dem Süden mitbrachte zum Ausdruck seiner innigsten Gefühle in Lust nnd Leid (S. 339), offenbart sich nns zu allermeist der geschulte Mensch, also der lyrische Künstler, und zwar einer von hohem Rcinge, nm bei dein Ausdruck zu bleiben, den er selbst ans Geibel anwendet. Seine Poetik aber, aus der nur weniges hervorgehoben werden konnte, sei unsern Naturburschen ebenso nachdrücklich ans Herz gelegt, wie den Neunspielern, die nicht einsehen, „Ums dergleichen wertlose Jugendsünden aus zweiter Hand von wirklicher Poesie unterscheidet."
Ungeinein interessant ist es nnn auch, den Dramatiker Heyse, der fünfzig Bühnenstücke gedichtet hat, über sein Verhältnis zum Theater sprechen zn hören. Er hat sein Bestes gethan, ist mit den Erforderniffen der Bühne vertrauter als viele, ein leidenschaftlicher Theaterfreund, seiue Personen treten plausibel auf „„d ab, er hat auch Bühnenerfolge gehabt, und doch — man gesteht ihm vielerlei zu, aber ein dramatischer Dichter soll er nicht sein, alles soll ihm „novellistisch" geraten sein, nnd doch hat keiner ihm sagen können, was damit gemeint sei/ Soviel steht wohl fest, stärkere Gegensätze kann es nicht geben als feine Stilhöhe, Charakterzeichnung und Verskunst und die Wirk- lichkeitsnusschnitte der modernen Naturalisten mit ihrem Gnsfendeutsch, und daß sich der Überdruß am Niedrigen einmal eiustellen wird, ist so sicher wie Grmzbotcn t 1901 5