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Abendland und Morgenland : zur Jahreswende
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Abendland und Morgenland

bis zu einem gewissen Grade an, um nicht ganz das Heft auS der Hand zu verliere», aber thatsächlich rangen und ringen dort die abendländischen Mächte mit Rußland und Japan nm den maßgebende» Einfluß in China, der Oeeident mit dei» Orient, Die selbständige Kriegführung der Russen in der Mandschurei, der überraschende Vorschlag, Peking zu räumen, die Abberufung des größten Teils der russischen Trnppen ans Petschili, das Bemühen bei deu Fricdens- verhandlunge» in Peking, an denen Fürst Uchtomskij persönlich teilnimmt, den Chinese» möglichst milde Bedingungen zn verschaffen nnd den Krieg möglichst schnell zn beenden, das alles fließt aus diesem. Verhältnis, Rußland will als die wohlwollende Schutzmacht Chinas gegen denräuberischen" Westen erscheinen, und vielleicht erleben wir eines schönen Tags ei» russisch-chiuesisch-japanischeS Bündnis, das Asien gegen Europa »nd Nordamerika vereinigt.

Daß fich diese russische Politik in absehbarer Zeit ändern wird, ist schlechterdings nicht zu erwarten; sie wird vielmehr das zwmizigste Jahr­hundert beherrschen, denn sie fließt aus dem Wesen des russischen Reichs, Das aber kündigt eine neue Periode des Kampfes zwischen Orient und Oeeident an, wo Nußland die führende Macht des Orients sein wird. Ob sich daraus eine akuteWeltgefahr" für Europa entwickeln wird, wer kann das wissen? Die militärische Augriffskraft Rußlands gegen den Westen ist niemals sehr stark gewesen, uud Deutschland zu unterwerfen werden sich die russischen Staatsmänner wohl hüten, auch wenn sie es könnte», den» sobald die fünfzig oder sechzig Millionen Deutschen russische lwterthane» wäre», würde» sie das Reich beherrschen und seinen Charakter verwandeln. Aber eine Weltgefahr wäre eS schon, wenn Rußland die Hunderte von Millionen Asiaten unter seine wirtschaftliche Herrschaft nähme und die Abendländer davon ausschlösse, und diese Gefahr liegt vielleicht gar nicht so fern,

Ihr gegenüber ist Europa in zweifacher Beziehmig im Nachteil. Zunächst bestehn zwischen den Großmächte» die ma»»igfachste» Gegeusütze, Frankreich, noch immer verblendet voll dem Revanchegedanken, der ihm schon die Mit­herrschaft über Ägypten gekostet hat, schwimmt vollständig im Fahrwasser Ruß­lands, verstärkt also dessen Stellnng in Europa, Gegeu England herrscht ans dem ganzen Festlnnde ein solches Gefühl leidenschaftlicher Empörung, daß n»r starke Regiernngen dieser volkstümlichen Strömung widerstehn können. Nur der mitteleuropäische Dreibund bildet eine» feste» Ker» einer gesanckenrvpäischen Politik, Diesen: gründlich gespaltnen Europa steht Rußland in unangreifbarer Geschlossenheit gegenüber, nnd dazu wird seine Politik von einer absoluten Monarchie nach festen, jahrhmüdertealten Traditionen geleitet. Wo ist davon in Europa eine Spur zu finden? Hier ist der Parlamentarismus zwar un­zweifelhaft im Verfall, doch wirken die innern Parteiungen, die notwendige Folge abendländischer Freiheit, fortwährend auch auf die auswärtige Politik bestimmend ein. Von einem festen, geschlossenen Nationalstolze ist nur in England und Frankreich, allenfalls noch in Italien die Rede; in Deutschland ist er noch lange nicht zur Stärke einer selbstverständlichen Empfindung