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Biographische Litteratur :
(Schluß)
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verpflichtet haben, weiter fortzusetzen. Hier gewinnt sie dann immer unser Interesse, ein Zeichen, daß Berdrow seinen Stoff gut verarbeitet hat; wir mochten mich gern noch mehr von ihr hören und thun Fragen, auf die Nur keiue Autwort erhalten, denn inzwischen rauschen schon wieder neue voruehme Gesellschaftsgästc herein. Nahe! erscheint viel besser als ihr Gatte, wohl nicht ganz nach der Absicht des Verfassers, der Varnhagen so hoch wie mög­lich zll bringen sucht. Von Charakter war er doch ein Tropf, nnd das Ent­scheidende fiir seine Schriftstellerei war, daß er niemals mit voller Kraft nn eine selbständige Arbeit ging. Wer seit seinein dreißigsten Jahre immer nur für den Tag schreibt, der hat nm Schlüsse seines Lebens eben auch nur für den Tag geschrieben. Wer liest heutzutage überhaupt Varuhageu, außer wenn er muß? Daran könneil alle Leumundsatteste Humboldts oder Naukes nichts mehr ändern. Darf man also eiu Buch wie das Berdrowsche ohne Pedanterie ein bischen pädagogisch ansehen, so würde ich nach der Vorstellung, die es mir von Varnhagen von Ense giebt, meinen: Den kann man getrost vergessen, oder, wie ein höchst origineller alter Examinator seinen Fragen hinzuzusetzen pflegte: Das brauchen Sie nicht zu wissen!

Anders verhält es sich mit Nahel. Sie steht hoch über Varnhagen, an Aufrichtigkeit, Charakter, Feinfühligkeit und originellen Gedanken, nnd anch als Ehehälfte, soweit man diese Gemeinschaft als Ehe ansehe» will, ist sie ohne Frage der wertvollere Teil. Wilhelm von Humboldt, auf dessen Persvnen- urteile man sehr viel mehr geben kann als auf die seines Bruders, sagt von ihr (1834, an Charlotte Diede), man sei nie von ihr gegangen, ohne Stoff znm Nachdenken und Gefühlsaureguug mitzunehmen. Sie habe ihre ganze Ausbilduug sich selbst verdankt, und alle ihre Gedanken und die Form ihrer Empfindungen hätten ein so unverkennbares Gepräge der Originalität gehabt, daß mau dabei uumöglich an einen männlichen oder überhaupt fremden Einfluß denken könnte.Überhaupt war Wahrheit eiu auszeichnender Zug in ihrem intellektuellen und sittlichen Wesen." Daß eine solche Fraudes tiefern Ver­ständnisses für die Wissenschaft ermangelt habe," erklärt Berdrow für unmöglich in einer Diatribe gegen Georg Brandes, der es behauptet hat. Da sie weder schnlmäßig unterrichtet war, noch irgend jemand von ihr wissenschaftliche Ar­beite» verlangt hat, so ist das jedenfalls jetzt keine brennende Frage mehr. Aber warum hätte eine geistig so bedeutende Frau, wie sie war, Dinge, die man sie gelehrt hätte, nicht auch verstehu sollen? Man sieht nicht recht ein, was Nahel bei dieser .Kasuistik in unsrer Schätzung zu gewinnen hat. Der Verfasser wollte leine bloß litterarische Biographie schreiben, wonach jn auch kein Bedürfnis gewesen wäre, sonder» ei» aktuelles Buch. Er will Rahels Audenten erueuer», weil es für unsre Zeit »och von Wert ist. Er spricht öfter von ihrem Einfluß auf ihre Zeit und ihrer Wirkuug in die Zukuuft. Ver­suchen wir, uns über einige Punkte zn verständigen. Etwas ganz greifbares ist ihr Verhältnis zu Goethe, den sie herzlich, wahrhast, ohne alle Koketterie verehrte nnd auch verstand. Vor ihr hatten schon Dorothea Mendelssohn