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Biographische Litteratur :
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Biographische Litteratur

dachte, kau» uns gleichgültig sein, da es hellte nur noch auf das Ergebnis ankommt: sie hatte gute Gedanken, und er eine gewandte Feder, Nachdem er Konnexionen, wie sie dem Hundertsten nicht zufallen, verloren hatte, weil er sie am liebsten alle zugleich benutzt hätte, verscherzte er sich 1819 durch seine Taktlosigkeiten bei einer diplomatischen Mission in Karlsruhe die Staatslauf- bahu vollständig nnd wurde nun Schriftsteller, während seine Gattin bis zu ihrem Tode 1833 in der Mauerstraße ihren vielgenannten Salon abhielt (den zweiten"; die noch berühmtern Zusammenkünfte des ersten hatten schon in ihren Mädchenjahren, etwa von 1796 bis 1806, in der Jägerstraße statte gefunden). Die Unterhaltungen waren uoch nicht verstummt, da setzte schon der geschäftige Gatte die Feder an, um ihren Ertrag in seine Scheuern zu sammeln, es türmten sich Berge von Anfzeichnnngcu und aufbewahrten Briefen, und nachdem einiges von Varnhagen selbst veröffentlicht worden war, über­schüttete nach seinein Tode (1858) bekanntlich seine Nichte Lndmilla Assing die teils erschreckte, teils schadenfrohe Berliner Menschheit mit gedruckten Briefen nnd Tagebüchern ohne Aufhören, Erst die Kriege und das politische Leben gegen Eude der sechziger Jahre lenkten die Gedanken wieder auf Wichtigeres und machten die Menschen allmählich unempfindlich gegen die Eindrücke der noch immer fortgesetztenEnthüllungen." Varnhagen hielt man nnn allgemein für einen Schwätzer, und höchstens konnten noch über seine Gutmütigkeit nnd Gutgläubigkeit die Meinungen auseinandergehn. Aber mich Rahels Bild hatte nicht gewonnen: das einst mit einer Art von Andacht aufgenommneBuch des Andenkens für ihre Freunde" (1834) verschwand für die, die es nicht mehr selbst gelesen hatten, allmählich in dem Dunstkreise dieser nicht ganz reinen Luft, und wie viele kennen es heute überhaupt noch? Jetzt erscheint, über sechzig Jahre nach ihrem Tode, ein Buch von 450 Seiten Groszoktav mit 12 Bildnissen:Rahel Varnhagen, ein Lebens- und Zeitbild von Otto Berdrow" (Stuttgart, Greiner und Pfeiffer). Es enthält viel mehr, als der Titel ver­spricht, nämlich nicht nur des Gatten Biographie, sondern anch noch knrze Lebenslüufc sämtlicher Berühmtheiten, die in den zwei Salons verkehrten, der Brüder Schlegel, Schleiermachers, des Prinzen Louis Ferdinand, der beiden Humboldt, Fichtes, des Fürsten Ligne, Hegels, Gentzens, Gcmsens, Rankes, um die bloß vornehmen Gäste gar nicht einmal zu nennen; zu Boeckhs Namen hatte die Trivialitäteiner der bedeutendsten Kenner des griechischen Alter­tums" wohl weggestrichen werden dürfen. Die vielen Menschen, die nnn hier auf uns eindringen und »ns über ihre Person unterhalten, als hätten wir noch nie von ihnen gehört, sind zwar immer noch anhörenswert und an sich wichtig genug, aber sie lenken doch unsre Aufmerksamkeit notgedrungen von der Hauptperson ab. Wir müssen dann wohl, wenn das Rauschen von Namen nnd Titeln und höchstem Erdenruhm auf eine Weile unterbrochen wird, die kleine Rnhel uns förmlich wiedersuchen in irgend einer Ecke ihres sich leerenden Salons, um den geistigen Faden aufzunehmen und die Unterhaltung mit ihr nnd die Teilnahme an ihrer Entwicklung, zu der wir uns doch hauptsächlich