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ihre Schwächen und Leidenschaften allerdings auf kleine Modeänderungen beschränken, mit denen sich der Staat, so gut er kann, abfindet. Mit dem Kleidermodeteufel band er vor Zeiten an — er läßt ihn jetzt ruhig gewähren. Den Spielteufel schlug er nicht mit Beelzebub, aber er schickte — wie der Arzt die schwarzen Pocken mit den harmlosen Kuhpockeu bekämpft — die staatlich konzessionierte Lotterie in den Streit, mit gutem Erfolg auch für die Staatskasse. Dein Glücksspiel um die Gesundheit kam er durch die Freigebuug der Medizin entgegen, aber dem Dränge, sich für sein eignes Geld irgend einen Wuudertrcmk zu kaufen, legte Deutschland Fesseln auf, obgleich deutsche Behörden vor Zeiten Prüzedcnzfälle geschaffen haben, die keineswegs Schaden im Gefolge hatten, und obgleich die Nachbarstanten mit ihren freisinnigen Anschauungen eutschicden gute Erfahrungen verzeichnen konnten. Der oben genannte Schmalkaldcr Schwefelbalfam erfreute sich höchster Protektion. Kaiser Matthias und Ferdinand III. gaben ihm einen Freibrief. Die Thüringer „Olitäten" hatten ebenso wie die Tropfen der schlesischen Laboranten ihre verbrieften Privilegien; die Haller Arzneimittel erfreuten sich desselben Freibriefs zu Gnustcn der Fränkischen Anstalten und der Mission. Dr. Kicsow erhielt eine kaiserliche Erlaubnis, seine Augsburger Lebeuscssenz zu verkaufen, und so ließen sich eine Unmenge Beispiele vorführen. Das Volk hatte seinen Willen, der Erfinder des Mittels hatte Gelegenheit, seine Mühen in Geld umzusetzen, und der Staat ging auch nicht leer aus. Die moderne Zeit zeigt, daß auch andre Kreise an den Geheimmitteln interessiert sind. Die Engländer Morisvn und Holowah, die bekannten Fabrikanten der nach ihnen benannten Pillen — ich möchte einschalten, daß sich die Mehrzahl der Geheimmittel mit den Leiden des tyrannischen Magens beschäftigt —, sollen im Jahre gegen 20000 Pfund Sterling für Annoncen ausgegeben haben. Wahrscheinlich nicht weniger strich der Staat vorweg für sich ein. England macht nämlich (wie Frankreich) den Geheimmittelhandel von einer vorhergehenden Prüfung abhängig, für die man für das betreffende Mittel an den Staat eine Steuer entrichten muß/') Er schützt durch diese Maßnahme den Bürger vor Schaden am Leibe nnd am Geldbeutel. Trotzdem bringt Galenus seiueu Jüngern gelegentlich soviel Segen, daß die beiden eben genannten bei ihrem Tode, trotz vieler vorhergcgangnen Stiftungen, den Armen Londons noch je fünf Millionen Pfund Sterling vermachen konnten.
In England betrug die Steuer für Patentmediziuen
im Jahre 1860 48 SSL Pfund Sterling im Jahre 1«!10 217264 Pfund Sterling ' > „ 187-0' 72353 . „ '„ „ „ 1895 234881 „
„ „ 1880 135366 „ „ „ „ 1899 266404 „ „
Stünde in Deutschland der Kvnsum von Spezialitäten und Geheimmitteln im Verhältnis zur Einwohnerzahl und richtete mau dieselbe Steuer durchschnittlich von zwei Pfennigen ein, so würde die Steuerbehörde eine Einnahme von rund 5 640 000 Mark im Jahre haben.