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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien
dumme Wirt, der angstgequälte Vater, die niedliche aber unordentliche Wirtin, das brüllende Zweimonatsbaby, die zahlreichen, wechselweis auftauchenden und verschwindenden Freunde — Goldoui, Moliere und Shakespeare hätten ihre helle Freude gehabt, hätten sie dieses köstliche Zusammenspiel gesehen.
Am nächsten Morgen gab es ein hübsches Fest, zu dem zahlreiche Lcmd- lente in den alten bunten Trachten auf Eseln nach der 424 Meter über dem Meere auf einer Bergkuppe liegenden Stadt heraufgeritten kamen. Dabei stellte es sich — echt italienisch! — heraus, daß sich der armselige kleine Ort eine eigne uniformierte Musikkapelle hielt, die auf Straßen uud Plätzen ihre Weisen erschallen ließ, uud auch im übrigen legt das Städtlein augenscheinlich Wert darauf, als ein kulturförderndcs, auf der Höhe der Zeit stehendes Zentrum zu gelten, indem es seit kurzem Acetylengas als öffentliche Beleuchtung eingeführt hat! Kunstgeschichtlich ist der Dom recht beachtenswert, sowohl als Gebäude (in den antiken Tempelunterbauten eine mittelalterliche ausgemalte Krypta), wie auch wegen der Wandgemälde im Chor aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Das beste an der Stadt aber ist die Aussicht auf das Meer und den Gran Sasso, die wirklich wundervoll ist.
Auf der ganzen bisher beschriebnen Strecke ist auch die Benutzung der Haupteisenbahnlinie, von der nach der Mehrzahl der oben genannten Städte Zweigbahnen abgehen, sehr angenehm. Die Schienen führen fast immer dicht am Meere entlang, sodaß man nach Osten die große Wasserfläche der Adria vor sich hat, die erfrischende Meeresluft genießen und sich an den altertümlichen, buntfarbigen Fischerbooten erfreuen kann, während sich auf der andern Seite Blicke auf die paradiesisch schönen Bergabhänge und Thäler, ans Städte und Burgen und ab und zu auf die gewaltigen Felsriesen der Apenninen eröffnen.
Auf der zweiten Strecke, vou Castellammare bis Chieuti, rückt das Hochgebirge weiter von der Adria ab und entsendet nicht mehr Querriegel bis zu ihr hin, die Meeresküste wird vielmehr in geringer Entfernung von einem niedrigen (etwa 200 Meter), ziemlich schroff abfallenden Höhenzuge begleitet, der leise iu Kurven geschwungen ist und hier und da in das Meer vorspringt. Wasser und Land zeigen also eine unbedeutende Entwicklung, und es ist beachtenswert genug, daß auch die geschichtliche Vergangenheit dieser Landschaft unbedeutend ist, und die wenigen hier gelegnen Städte (ich nenne Ortona, Vasto d'Aimone, Termoli) verhältnismäßig nur klein sind. Immerhin ist selbst hier die Gegend keineswegs reizlos. Ich vermag nur auf Grund meiner Eisenbahnreise zu urteilen, aber da die Züge nicht allzu schnell fahren und auf den Haltestellen recht lange zu verweilen pflegen, so gewinnt man, besonders wenn man, wie ich, die Strecke bald hintereinander zweimal befährt, einen gewissen Eindruck von der Gegend, und der geht dahin, daß sie sich durch eine ungewöhnliche Anmnt auszeichnet. Darüber giebt es eine vor kurzem erschienene klassische, fein em- pfundne Schilderung von Gabriele d'Annunzio, wohl dem größten gegenwärtigen