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Maßgebliches und Unmaßgebliches
einer angemessenen Schlachtflotte gegen Vergewaltigungen der Handels- und Vcr- kehrsfreiheit durch andre Mächte in die Wagschale werfen zu können, ohne deshalb den Schutz der deutschen Häfen in der Ostsee und in der Nordsee beeinträchtigen zu müssen. So sehr wir es zur Zeit in einzelnen Fallen als richtig erkennen mußten, für die Zukunft schien es nicht länger auzugehn, daß wir überall draußen, wo es Ernst werden kann, die Flöte aus der Haud legen und vom „Konzert" der Mächte höflich Abschied nehmen. Der Flottenplan von 1397 genügt diesem Bedürfnis keineswegs. Er bedeutet höchstens den Fortschritt von dem schon längst veralteten Standpunkt der Küstenverteidigung zu dem heute auch schon veralteten der Verteidigung der heimischen Gewässer. Auf den selbständigen Schutzmannsdienst der Kreuzerflotte kommt es dabei nicht an. Wir waren auch schon vor anderthalb Jahren in Übereinstimmung mit den auch von sachkundigen, Praktischen Fincmzmännern auf die Umfragen der Allgemeinen Zeitung abgegebnen Gutachten der Ansicht, daß das deutsche Volk die für eiue starke Vermehrung der Schlachtflotte aufzuwendenden einmaligen und dauernde» Ausgaben sehr wohl ohne Beeinträchtigung andrer Interessen zu ertragen vermöge.
An sich könnten wir es deshalb uur mit Freude begrüßen, wenu jetzt — wir wissen nicht, ob und inwieweit im Zusammenhauge mit der erwähnten dankenswerteu Anregung des deutschen Flvttenvereins — ein Privatdozent der Staatswissenschaften der Berliner Universität und der Berliner Schule, Adolph von Wenckstern, in einer Schrift: „1 Prozent. Die Schaffung uud Erhaltung einer deutschen Schlachtflotte" (Leipzig, Duncker uud Humblot) mit großer Entschiedenheit für die Erweiterung des Flvttenplans von 1897 eintritt.
Leider ist die Art, wie er dies thut, weder zweckmäßig noch grundsätzlich richtig, und es könnte leicht zu Mißerfolg führen, wenu der deutsche Flottenverein etwa auf dieser Basis und iu diesem Sinne den Kampf für das gebotue Ziel aufnehmen wollte. Ohne hier auf eine eingehende Würdigung der Wencksternschen Ausführungen, die unzweifelhaft viel Treffendes und für den bevorstehenden Kampf beachtenswerte Einzelheiten bieten, eingehen zu können, würden wir es zunächst für sehr unzweckmäßig halten, die Agitation mit der Forderung weiterer 1700 Millionen Mark allein für Neubauten einzuleiten. Es ist zwar unter Umständen gut und durchaus nach unserm Geschmack, den Stier bei den Hörnern zu fassen. Im Falle der Flottenfrage aber, wie die Sachen nun einmal liegen, ist diese Art des Griffs nach den Hörnern wahrscheinlich ein Fehlgriff, der den Erfolg im höchsten Grade gefährden kann. Man greife rücksichtslos den ungeheuern Unsinn an, den die Parteien vor anderthalb Jahren zum Gesetz gemacht haben. Aber man greise das Übel auch an der Wurzel an, die wirtschaftspolitischen Wahnvorstellungen, die die Parteien noch heute beherrschen.
Und das thut Wenckstern mangelhaft, vielleicht zaghaft. Er ist unsers Er- achteus noch zu sehr beherrscht von den protektionistischen Phantasien der moderneu Berliner Kathederpolitiker, auch hinsichtlich der agrarischen Irrtümer, so sehr mau bei ihm das Bestreben anerkennen muß, sich von den Extremen der Jsolierungs- apostel wie Oldenbcrg freizuhalten. Seine grundlegenden Sätze über die fast unbegrenzte Steigerungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktion im Jnlandc und über die Aufgabe des Staats, „große Mittel anzuwenden, um es dem landwirtschaftliche!? Gewerbe zu ermöglichen, ohne daß an die Persönlichkeiten, denen die Leitung der landwirtschaftlichen Produktion anvertraut ist, übermenschliche Anforderungen gestellt werden, die deutsche Scholle unter eine um vieles intensivere Kultur zu nehmen, damit sie imstande sei, in der Hauptsache für die Bedürfnisse des ganzen deutschen Volks, auch wenn es sich an Kopfzahl verdoppelte, Getreide,