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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Schnellerer Ausbau der deutschen Flotte, Ju den „Mitteilungen des deutschen Flottenvereins" (Nr. 11 vom 10. Jnui) wird neuerdiugs für deu schnellern Ausbau der deutschen Flotte eingetreten. Nach einem Hinweis auf die in China den deutscheu wirtschaftlichen Interessen eröffneten Aussichten und die Erwerbung der Karolinen nnd Mariauen, als eine „auch strategisch wertvolle" Vermehrung des deutschen Kolonialbesitzes, wird zu diesem Zweck in der Hauptsache folgendes ausgeführt: Der Kreis unsrer überseeischen Interessen sei in stetigem erfreulichem Anwachsen begriffen. Mit ihm wachse entsprechend das Schutzbedürfnis über das Maß hinaus, das der Aufstellung des Flottcnplnns im Herbst 1897 zu Grunde gelegt worden sei. Um so bedauerlicher erscheine es, daß der Ausbau unsrer Flotte selbst in der als unbedingt notwendig anerkanuteu Miudeststürke auf eine längere Zeit verteilt sei, als nach der Leistungsfähigkeit der deutschen Werften und der deutschen Industrie znr Ausführung der in dem Flottengesetz vorgeschnen Schiffs- neubcmten erforderlich wäre. Trotzdem würden sich die Verbündeten Regierungen in Rücksicht auf die Erklärungen, die bei der Beratung des Flottengesetzes seiner Zeit abgegeben worden seien, an den Flotteubauplau gebunden erachten nnd die Initiative zur Verkürzung der Bauzeit uicht ergreife». Es trete deshalb -— meiut der Flottenverein — die Frage an den Reichstag heran, ob nicht er selbst die Initiative zur Beseitigung der zeitlichen Schranken ergreifen wolle, die das Gesetz dem Ausbau unsrer Flotte ziehe. Da der Reichstag jetzt in die Sommerferien geht, hielt es der Flottenverein für geboten, das; die Reichstagsabgeordneten, wenn sie nach Ablauf der parlamentarischen Pause im Herbst wieder nach Berlin kommen, aus der Mitte ihrer Wähler die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Beschleunigung unsrer Schiffsneubautcu mitbrächten.
Das Ziel, das der deutsche Flottenverein hier vorzeichnet, kräftig zu verfolgen, wird jeder einsichtige Vaterlcmdsfrennd als seine Pflicht erkennen.
Es ist in den Grenzboten seiner Zeit nachdrücklichst davor gewarnt worden, daß sich die verbündeten Regierungen den verhängnisvollen „Bindungen" in Bezug auf den Flvttenausbau unterwürfen, weil vvn vornherein zu erwarten war, daß daraus neue uud zwar sehr schwere Kämpfe erwachsen würden. Der ganze Hokuspokus der sogenannten konstitutionellen Bedenken, die dafür ins Treffen geführt wurden, die ganzen so unrühmlichen Gebnrtswehen überhaupt, die dem Zustandekommen des Flottengesctzes vom 10. April 1898 vorausgingen, sind noch in frischer Erinnerung. Einzig und allein die Überzeugung von der völligen Unmöglichkeit, im Reichstag unter deu bestehenden Parteiverhältnissen eine Mehrheit für die als notwendig erkannte Flvttenpolitik zn finden, hat die Verbündeten Ncgieruugeu vor anderthalb Jahren bestimmen können, ein so unzureichendes und unvernünftiges Flottcngesetz zu acceptiereu. Jede cmdre Entschuldigung dafür ist ausgeschlossen. Schlimm genug, wenn damals Vertreter der Regieruug, auch der Marine, mit ihren „Erklärungen" des Augenblickserfolges wegen zn weit gegangen, nicht vorsichtig genng gewesen sind, dem deutschen Volke nicht klaren Weiu darüber eiuzuschenkeu gewagt habeu, daß sie nur durch das uuverstäudige uud unpatriotische Verhalten seiner Abgeordneten gezwungen waren, diese ganz unzulängliche Abschlagszahlung vorläufig und unter allem Vorbehalt anzunehmen. Aber geschehen ist geschehen. Es hilft wenig, jetzt darüber zu reden, ob es nicht schon damals besser gewesen wäre, dem alten Reichstag und den ihn beherrschenden Parteien das Scheinverdienst der Flottengründung nicht als willkomume Reklame für die Neuwahlen mit nach Hause zu geben, sondern offen und ehrlich an den gesunden Menschenverstand und die Vaterlandsliebe des deutscheu Volks zu appellieren.