Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
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einverstanden. Man brachte die Sache in einer Vvrstandssitzung zur Sprache, nnd man beschloß, Herrn Amtsrat die Bitte nnszusprechen, auf seinen Whist zn verzichten.
So, sagte der, das ist ja recht nett. Da soll ich mich Wohl hinsetzen und euerm Geklimper zuhören? Sagt nur euerm Vorstande, wenn ich meinen Whist nicht haben könnte, so dankte ich für das übrige, — Und er blieb weg, und der große Landauer war von da an nnr schwierig zu haben.
Der Herr Amtsrichter fand, daß es nötig sei, den Wert der musikalischen Leistungen zu erhöhen. Immer wieder die paar Liederchen oder eine geniale Leistung von Frau von Zeschwitz, das wurde doch langweilig. Warum man nicht versuche, ein Quartett zusammen zu bringen? Dieser Gedanke fand bei den jungen Damen begeisterte Zustimmung. Alles drängte herau. Es war schwierig, den Sopran vom Alt zn scheiden. Herr Gorgaß, Herr Lauter, der Herr Kandidat und einige andre wurden in den Tenor und Baß gesteckt. Noten waren da. Zn Anfang etwas leichtes: Mendelssohns „Entflieh mit mir und sei mein Weib." Der Herr Amtsrichter dirigierte. — Also bitte, jetzt. H Kis V, Vier! Fünf! Entflieh mit mir.... Ach du lieber Gott, auch die Solosängerinnen hatten vorbei gesnngen, und Fräulein Amalie, die sich, in Entzücken schwimmend, in die erste Reihe gepflanzt hatte, war gar nicht hineingekommen. — So ging das also nicht. Man mußte die Stücke einübe», und man beschloß, die Übung eine Stunde vor Begiuu des Kränzchens zu beginnen. — Aber bitte, meine Damen, sagte der Herr Amtsrichter, pünktlich. — Jawohl, jawohl. — Die Damen kamen auch leidlich pünktlich, aber die Herren so unpünktlich, daß nichts aus der Übung wurde.
Der Herr Amtsrichter ließ den Chorgesang fallen. Die musikalischen Kräfte überschauend fand er, daß mit den vorhandnen, außer mit Herrn Pastor Langbein, wenig anzufangen war. Wenn aus dem musikalischen Kränzchen etwas werden sollte, so mußten neue musikalische Kräfte herangezogen werden. Sollte es nicht solche Kräfte in der Gegend geben? Ah, die Fran Apotheker!
Sagen Sie mal, meine Herren, sagte der Herr Amtsrichter, warnm ist eigentlich die Fran Apotheker dem Vereine nicht beigetretcn? Es ist doch eine mnsika- lische .Kraft ersten Ranges.
Verlegnes Schweigen.
„Schweigend in der Abenddttmmruug Schleier ruht die Flur," deklamierte Herr Lanter im Hintergründe.
In allem Ernst, meine Herren, fuhr der Herr Amtsrichter fort, hat man etwas gegen die Dame? Liegt etwas vor? Wird sie nicht gern gesehen?
O nein, o nein, durchaus nicht. — Man konnte doch nicht sagen, daß »mir eiueu Apotheker nicht für hoffähig halte, nnd daß man die Frau Apotheker nicht eingeladen habe, nm zu verhüten, daß die Leistungen der verehrten Töchter iu den Schatten gedrängt würden. Der Herr Amtsrichter übernahm es, die Sache zn arrangieren. Das geschah, und am nächsten Kräuzchentage erschien die Fran Apotheker, einfach aber nett angezogen, unbefangen, liebenswürdig uud gar nicht kleinstädtisch. Sie stammte ja auch nicht aus Protzkau. Frau Baronin war unnahbar, »nd die übrigen Damen verhielten sich kühl und zurückhaltend, sodnß Frau Apotheker vereinsamt geweseu wäre, wenn sich nicht schnell ein Kreis von Herren um sie gesammelt hätte. Daranf sang sie, ohne sich zu zieren oder etwas vorstellen wollend, von dem Herrn Amtsrichter meisterhaft begleitet, ausgezeichnet. Sie hätte vhne weiteres als Konzertsängerin auftreten können. Man nahm die Leistung mit einiger Verlegenheit entgegen. Der Beifall der Damen war matt, der der Herren desto herzlicher nnd lauter. Man wird ihnen Wohl hinterher klar gemacht haben,