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Nochmals die Fürsorge für die entlassenen Strafgefangnen
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Nochmals die Fürsorge für die entlassenen Strafgefangnen

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der Armenpflege, oder der polizeilichen Überwachung. Gegen diese Gesellschaft kämpft ein Verein, der freie Liebesthätigkeit treibt, umsonst, hier muß der Staat einschreiten. Bekanntlich empfiehlt mcin die dauernde Einsperruug der sogenannten Unverbesserlichen, um das Land von ihnen zu befreien und zu verhüten, daß diese Art sich im Lande weiter vermehrt.

Ich rede im folgenden also von solchen Gefangnen, die die Anstalt mit der mehr oder weniger deutlichen Erkenntnis verlassen: So kaun es uicht weitergehn, ich muß mich ändern, muß den berühmten Strich unter mcin Leben machen und alle meine Kräfte zusammennehmen, wenn ich noch einen Zipfel menschlichen Glücks erfassen will. Die Empfindnng der Reue, die Vorsätze der Besserung sind doch häufiger, als mau gewöhnlich annimmt, sie sind auch dann noch nicht immer als Heuchelei aufzufassen, wenn sie nachher bald wieder vergessen worden sind. Jeden­falls haben die bessern unter den Entlassenen das Herz voll Hoffnung, und nament­lich die zum erstenmal Bestraften haben mir ein unklares Bewußtsein davon, daß jetzt ein nener Teil ihrer Strafe beginnt. Wie viel hat sich inzwischen daheim verändert, ihr Hanswesen ist zurückgegaugen, vielleicht wirtschaftlich völlig vernichtet worden. Frau und Kinder haben schwere Leiden durchmachen müssen, vielleicht ist die Ehe gelost worden und der andre Ehegatte seines Wegs gezogen. Es giebt nichts schrecklicheres, als nicht in der eignen Sphäre zu leben, sagt Dostojewski, und das eben erwartet viele Entlassene; wenn es zuweilen auch uicht schreiend zu Tage tritt, so müssen sie es doch bald merken, daß sich unsichtbare Schranken zwischen ihnen und ihren frühern Bekannten aufgebaut haben. Der frühere Arbeits­platz ist verloren, das Streben, ihn oder einen andern zu finden, ist mit Demüti­gungen verbunden, die der unbescholtne arbeitslose Mensch nicht annähernd zu be­fürchten hat, die der Entlassene aber, der wie ein kranker Mensch alles widrige härter als nötig nimmt, oft so bitter empfindet, daß er völlig mutlos wird. Zieht sich die gute bürgerliche Gesellschaft also leise von ihm zurück, so umdrängen ihn dagegen Personen, deren Nähe ihm nur Unheil bringen kann. Mir ist der Zu­sammenhang zwischen den Bestraften immer merkwürdig gewesen, es ist seltsam, wie sich da die Lebensfäden ineinander schlingen. Nur feste Entschlossenheit kann deu Entlassenen vor den Verlockungender alten bösen Bekannten" bewahren, und diese Entschlossenheit fehlt gerade den meisten. Das Herandrängen des Gesiudcls an die Entlassenen ist eine Thatsache, die man schwerlich leugnen kann, jeder erfahrne Strafanstaltsbeamte weiß davon zu erzählen. Hiernach ergiebt sich als Aufgabe der Fürsorge: Arbeitsvermittlung, Beeinflussung dürch wohlgesinnte, erzieherisch ge­richtete Menschen und Überwachung der Familie des Gefangnen.

Wenn ich jedoch den Verfasser des gegnerischen Aufsatzes recht verstehe, wird er für die Schilderung, die ich eben entworfen habe, nnr ein Lächeln haben, er wird darin eins der hübschen Phantasiestückchen sehen, mit dereu Hilfe die Fürsorge- vereiue edcln Menschen den Kopf scheu macheu und die Taschen erleichter». Leider ist die Schildernng aber bittre Wahrheit, wenngleich ich gern zugebe, daß sie nicht ans jeden Entlasseneu zutrifft, vielmehr meist nur in einigen Zügen wahr sein wird. Sicherlich aber steht jeder Entlassene, der wieder emporstreben will, vor schweren Kämpfen. Der Verfasser meint nun: der kenne das praktische Leben nur sehr wenig, wer wirklich an das alberne Märchen glaube, daß die Bestrafung.eines Menschen ein unüberwindliches Hindernis sei, wieder ehrliche Arbeit zu bekommen. Der Arbeitgeber kümmere sich in den meisten Fällen gar uicht um die Vergangen­heit der Entlassenen, ihre Arbeitskollegen noch weniger. Für die Vereine znr Für­sorge für entlassene Strafgefnngue sei es aber Voraussetzung, daß ein bestrafter Mensch gar nicht in der Lage sei, durch eigne Kraft wieder ehrliche Arbeit zu